Hinter Interkult - Brauchen wir den interkulturellen Dialog?

Be a Mensch so einfach und reduzierbar scheint das Problemlösungsmittel im Sinne des interkulturellen Dialoges, wie er derzeit von der Europäischen Union betrieben wird, zu sein.

Be a Mensch so einfach und reduzierbar scheint das Problemlösungsmittel im Sinne des interkulturellen Dialoges, wie er derzeit von der Europäischen Union betrieben wird, zu sein. Be a Mensch war der Titel der österreichischen Auftaktveranstaltung anlässlich des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs in der Stadthalle, zu der Willi Resetarits seine Freunde und Freundinnen einladen durfte, um mit ihm zu musizieren. Die KünstlerInnen haben ihren Auftrag erfolgreich erfüllt, sie sind Profis in dem was sie tun, egal ob sie singen, ein Instrument spielen oder tanzen. Gefragt war ein bestimmter Ausschnitt künstlerischen Schaffens, das was allgemein unter „Weltmusik“ verstanden wird, Musik also die wiederum, passend zum Thema der Menschlichkeit uns alle als ErdenbürgerInnen anruft. Die Botschaft ist so simpel, dass auch die erste Reihe bestückt mit den VertreterInnen der Regierung, Gastgeberin Claudia Schmied, mit den KollegInnen des Innen- wie des Außenministeriums Günther Platter und Ursula Plassnik sie verstehen mögen. Der frenetische Applaus sei den KünstlerInnen gezollt, die musikalische Spuren vom Balkan, aus Kurdistan oder aus Simbabwe darbrachten.

Warum aber brauchen wir das alles so sehr, dass ein EU-weites Jahr des interkulturellen Dialogs ausgerufen wurde? Ist es Wertschätzung gegenüber der Diversität kulturellen Ausdrucks und was soll „Diversität des kulturellen Ausdruckes“ eigentlich sein? Welche Absichten liegen hinter den Vorhaben und wo wird die Materie komplexer als manchen recht ist?

Zuerst zur Frage, was die EU mit Motto-Jahren wie dem derzeitigen zu beabsichtigen vorgibt. Sie ist dabei recht klar und verständlich und basiert auf der Idee der Souveränität der Nationalstaaten, die fest mit Sprache, Kunst und Kultur verknüpft sind. Ein kleines Dilemma übrigens, wenn gleichzeitig das Projekt „Europäische Integration“ heißt und vorgibt, an einer wie auch immer gearteten „europäischen Identität“ – an der „Zusammenführung der europäischen Völker“– zu basteln. Der an und für sich richtige Akt der Auflösung einer Idee von nationalistischen, ursprünglichen Staatengebilde, die sich über Jahrhunderte bekriegten, ist als das Friedensprojekt nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges anzuerkennen, die Vorstellung einer homogenen „deutschen“, „französischen“ oder „polnischen“ Kultur an sich schon längst zu verwerfen. Dies tut die EU jedoch keinesfalls, stützt sie in ihren Äußerungen doch immer beide Seiten:

„Gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft hat die Gemeinschaft die Aufgabe, eine immer engere Union der europäischen Völker zu verwirklichen sowie einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes zu leisten.“

...heißt es in der Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates das Jahr des interkulturellen Dialoges durchzuführen. Wer sich die Veröffentlichungen der Union zum Thema Kultur, Inter- oder Multikultur zu Gemüte führt, dem fällt sehr schnell die Schmiermittelfunktion von Kultur ins Auge, die sich großteils über den wirtschaftlichen Sektor ergiessen soll. In der „Kulturagenda für Europa in Zeiten der Globalisierung“ werden die drei Ziele trefflich formuliert:

- Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs;

- Förderung der Kultur als Katalysator der Kreativität im Rahmen der Strategie von Lissabon für Wachstum und Beschäftigung. Mit einem Jahresumsatz von über 654 Milliarden Euros trugen die Kultur- und Kreativsektoren – Fernsehen, Kinoindustrie, Musik, darstellende Kunst, Unterhaltung, usw. – 2003 mit etwa 2,6 % zum BIP der EU bei;

- Förderung der Kultur als wesentliches Element der internationalen Beziehungen der Union, um Brücken zu anderen Teilen der Welt zu bauen.

In Zeiten der Globalisierung scheint Kultur so trivial zu sein wie essenziell: Niemand kann mehr an der Behauptung festhalten, dass Kultur etwas Unveränderliches sei und dennoch wird ständig der Versuch unternommen mit dem Beschwören der regionalen Unterschiede, der kulturellen Differenz, die es dann schlussendlich notwendig macht Dialoge zu führen, die sich am Begriff der Kultur aufhängen.

Brauchen wir also deswegen den interkulturellen Dialog, um abzulenken von den eigentlichen Brüchen in unserer Gesellschaft? Ist die Aufrechterhaltung der Differenz notwendig, um Gesetze vollziehen zu können, die Freizügigkeit von Menschen einzuschränken? Was bedeutet Be a Mensch in Österreich, wo Familien auseinandergerissen und Babies mit Abschiebebescheiden bedacht werden? Kann jemand ein Mensch sein in Österreich, wenn er oder sie die falschen Papiere hat, keine Schlüsselkraft ist und mit seiner oder ihrer Tätigkeit nicht genug Geld verdient? Das sich auf Kultur Berufen wird dabei in Wirklichkeit mehr als essenziell, wenn eine Generation von Kindern in die Sonderschule gesteckt wurde, weil ihre Erstsprache nicht die Deutsche ist. Es ist aus diesem Grund aus der Sicht der Hegemonie verständlich, warum bestimmte MigrantInnen für ihre Leistungen von einer Gesellschaft ausgezeichnet werden, die sich ihrerseits wiederum bemüht die Hürden für diese möglichst hoch zu halten. Auszeichnungen wie der MiA Award, für besondere Leistungen von Migrantinnen, erzählen Geschichten vom europäischen Traum, gleich dem „American Dream“, von Frauen, die es geschafft haben, sich so weit in die Öffentlichkeit zu reklamieren, so dass sie nicht mehr ignoriert werden können. Es verhält sich mit ihnen, wie mit den KünstlerInnen in der Stadthalle: Sie tun, was sie können und das machen sie gut, aber ist es einzig die Nützlichkeit bestimmter Bevölkerungsteile, die sie zum Mensch, vielleicht sogar zum BürgerIn-Sein berechtigt?

„Es ist immer noch die Ökonomie, Dummerchen!“

Es sind immer noch ökonomische Verhältnisse, ein Tauschverhältnis: „Ich gebe dir einen Preis und du mir ein gutes Gefühl.“ Ganz neben her wird die Möglichkeit der Autoimmunisierung gegenüber Kritik verliehen: „Es wird eh so viel getan für MigrantInnen und die es wirklich wollen, können es auch schaffen!“ Ist kulturelle Differenz nur ein Vehikel einer neu erstarkten Klassengesellschaft? Die simple Politik der Herstellung von Sichtbarkeit bestimmter MigrantInnen versucht andere MigrantInnen unsichtbar zu machen, die zwar einiges leisten in einer Leistungsgesellschaft, ansonsten aber recht normal und durchschnittlich sind, einer Kultur des trivialen Überlebens vielleicht mehr zugewandt sind, als der Pflege oder der Weiterentwicklung welchen kulturellen Ausdrucks auch immer. Da ist etwa der kleine unscheinbare Kulturverein, der es ermöglicht, sich in einer der gelebten Sprachen, der sog. ersten Sprache, zu unterhalten, schon genug. Doch das eigentliche Problem sind nicht unterschiedliche Sprachen, kulturelle Erbschaften oder zeitgenössische künstlerische Ausdrucksformen, sondern vielmehr die Vorbestimmtheit, mit der verschiedenen Gruppierungen ihre Positionen in der Gesellschaft zugewiesen werden und damit ihr Zugang zu Ressourcen und politischer Mitbestimmung. Deswegen brauchen wir den interkulturellen Dialog: Er produziert bzw. festigt Differenzen, verteilt Macht und Ohnmacht, teilt die Bevölkerung in Stufen der Nützlichkeit, kitzelt mit exotischen Attributen und lockt uns mit neuen Märkten innerhalb einer konsumorientierten Vorstellung von Glück. Deswegen braucht es den interkulturellen Dialog, als Kitt für Bruchstellen, die sich nicht im Feld der Kultur abspielen, sondern in einem anderen Feld. Oder wie es Bill Clinton trefflich formulierte: „It's the economy, stupid!“

Dialog? „Achtung Gefälle!“

Für einen Dialog fehlt es vielfach an der simplen Voraussetzung der gleichen Augenhöhe, nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund, die in Österreich leben, sondern auch für die neuen EU-Mitgliedsstaaten der letzten Erweiterungsrunde. Selbst sie sind keinesfalls von der österreichischen Regierung als gleichwertige Partnerinnen anerkannt. Das vom Ministerium eingerichtete Nationalkomitee zum Jahr des interkulturellen Dialogs sah in seiner Zusammensetzung die Teilnahme von ca. 30 staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen vor. Auch wenn einige dieser Organisationen MigrantInnen im Rahmen ihrer Strukturen mitbetreuen (wie z.B. die Arbeiterkammer) war keine einzige von MigrantInnen selbstorganisierte und deren Anliegen zentral vertretende Einrichtung dabei. Erst nach heftigen Interventionen – vor allem der Interessenvertretungen aus dem Kultur- und Kunstbereich – wurden zwei zusätzliche Organisationen (Wiener Integrationskonferenz – Vernetzungsbüro und Österreichischer Integrationsfonds) nachnominiert. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings eine wichtige inhaltliche Arbeit, die darin bestand, die Strategien der Komiteemitglieder zu sammeln, abgeschlossen. Das Nationalkomitee ist aber keineswegs ein Beratungsorgan, das der Entwicklung politischer Maßnahmen dient, sondern es geht einzig darum, die staatliche Repräsentationsfläche zu optimieren. Die Kulturpolitik fragt sich nicht mehr, was sie für die Kunst- und Kulturschaffenden längerfristig tun kann, sondern was diese für sie tun können. Gerne wird dabei die Wichtigkeit eines sorgsamen Umgangs mit kultureller Pluralität beschworen. Für einen gleichberechtigten Dialog fehlen jedoch die Voraussetzungen, im Gegenteil bleibt die Fokussierung auf kulturelle Unterschiede aufrecht und strukturelle Ungleichheiten wie Zugang zu Ressourcen und Netzwerken bleiben unbearbeitet. Daran wird auch der vom ORF initiierte Dialog-Konvoi nichts ändern, der neben den üblichen kulinarischen und folkloristischen Highlights plant, lokale AkteurInnen auftreten zu lassen. Wir werden sehen, die Tournee durch Österreichs Landeshauptstädte dauerte vom 4. April bis zum 6. Mai, und für alle die nicht dabei sein konnten, wird es Mitschnitte geben, die dann der ORF ausstrahlt. Weiters werden wir hören, was der Verband der freien Radios, der das zweite geförderte Projekt des Jahres an Land gezogen hat, an Radiosendungen in sog. „interkulturellen Redaktionen“ produzieren wird. Eine nicht einfache Aufgabe, da es wohl nicht mehr nur reichen wird, einen bunten Blumenstrauß an „Kulturalisierung“ als Kontrapunkt zum Mainstream zu setzen.

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