Ausgetrickst und Eingenommen. Eine feministische Raum-Pflege in 2 Arbeitsgängen.

Da Feministinnen der Zugang zur Öffentlichkeit weitgehend versperrt bleibt, (...) haben sie ebenso wie andere widerständige Bewegungen immer wieder nach alternativen Ausdrucksformen im öffentlichen Raum gesucht. Dabei wurde auch auf das Ausdrucksmittel illegal angebrachter Inhalte im öffentlichen Raum zurückgegriffen (unerlaubte Anbringung von Transparenten, Sprühaktionen, ...).

Einleitung: Gesellschaftspolitische Ausgangspunkte

Die Dichotomie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit ist weder eine geschlechtsneutrale noch eine herrschaftsfreie Trennung von zwei Sphären, sondern eng mit der modernen Geschlechterordnung verbunden. Im Zuge der sozialen, politischen und ökonomischen Transformationen europäischer Gesellschaften seit dem 18. Jahrhundert etablierte sich im Rahmen der neu sich konstituierenden Nationalstaaten eine männlich konnotierte Öffentlichkeit, die mit dem Konzept des entscheidenden, mündigen aktiven Staatsbürgers verbunden war, während Frauen in die häusliche Privatheit und Zuständigkeit für Reproduktions- und Familienarbeit verwiesen wurden. Mit der Konstruktion eines „natürlichen Geschlechtsunterschiedes“ regelte man(n) damit den Zugang zur Öffentlichkeit. Die Exterritorialisierung von Frauen und so genannter Weiblichkeit aus dem Öffentlichen und Politischen wurde damit zur Grundvoraussetzung moderner Staatsbildung. Die hierarchische Trennung zwischen „weiblicher Privatheit“ und „männlicher Öffentlichkeit“ ist jedoch seit Beginn der organisierten Frauenbewegungen heftig umstritten: Während die Erste Frauenbewegung den Zugang zu Bildung, Erwerbsarbeit und Politik (z.B. durch die Erkämpfung des Wahlrechtes) in das Zentrum setzte, legte die Neue, Zweite Frauenbewegung ihren Schwerpunkt auf eine politisierte Veröffentlichung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen im Privaten. Eine selektive Aneignung und Diffusion feministischer Inhalte (Stichworte: „Frauenpolitik“, „gender-mainstreaming“, Problematik der Gewalt gegen Frauen, …) in allen gesellschaftlichen Bereichen fand zwar statt, dennoch blieb die hierarchische und geschlechtsspezifische Struktur von Öffentlichkeit versus Privatheit weitgehend bestehen. In der öffentlichen Debatte werden „Frauenprobleme“ individualisiert verhandelt und ohne Rückbindung an sozio-ökonomische Strukturen und das Geschlechterverhältnis als Herrschaftsverhältnis aufgegriffen. Durch solche Entpolitisierungen findet keine strukturelle Veränderung statt, auch wenn so genannte „Frauenprobleme“ noch so viel öffentliche Präsenz erhalten – sie gehören gewissermaßen schon zur Normalität. Die Botschaft von der Diskriminierung der Frauen bleibt ohne Folgen.

Da Feministinnen der Zugang zur Öffentlichkeit weitgehend versperrt bleibt – u.a. aufgrund der historisch gewachsenen Strukturen und Organisationsformen von öffentlichen Räumen, und weil feministische Macht- und Herrschaftskritik deren Funktionieren stört – haben sie ebenso wie andere widerständige Bewegungen immer wieder nach alternativen Ausdrucksformen im öffentlichen Raum gesucht. Dabei wurde auch auf das Ausdrucksmittel illegal angebrachter Inhalte im öffentlichen Raum zurückgegriffen (unerlaubte Anbringung von Transparenten, Sprühaktionen, ...). Illegalisierung blieb und bleibt somit oft als eine der wenigen Politikformen zugänglich, um feministische Inhalte zu verbreiten und das Recht auf Meinungsfreiheit auch zu gebrauchen, und zwar öffentlich. Angesichts der fehlenden Autorisierung für eine (legale) Artikulation in der Öffentlichkeit durch (politische) Macht, Geld oder Männlichkeit will das ArchFem – zumindest für einen begrenzten Zeitraum – mit Hilfe des Projektes „Ausgetrickst und Eingenommen. Eine feministische Raum-Pflege in 2 Arbeitsgängen“ legalerweise in Innsbruck und Umgebung öffentlichen Raum im Sinne einer feministischen Selbstermächtigung kreativ aneignen und besetzen. Gleichzeitig sollen geschlechtsspezifische Reglementierungen sichtbar gemacht und subvertiert werden.

1. Arbeitsgang: Feministische Inhalte im öffentlichen Raum

Das Projekt „Ausgetrickst und Eingenommen. Eine feministische Raum-Pflege in 2 Arbeitsgängen“ läuft von Jänner bis November 2006 und soll aus der marginalisierten Position der Frauenbewegung die Reglementierungen im Zugang zur Öffentlichkeit aufgrund bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse sichtbar machen. Einerseits sollen dazu unkonventionelle Medien für öffentliche Kommunikation genutzt werden, um feministische Inhalte zu transportieren, andererseits sollen allgemein gebräuchliche öffentlichkeitswirksame Medien unter kostengünstigen Bedingungen dafür verwendet werden, um feministische Inhalte – in Form von die „normale“ Wahrnehmung irritierenden, vorgetäuschten bzw. simulierten „Wirklichkeiten“ – zur Diskussion zu stellen. In beiden „Arbeitsgängen“ werden Reglementierungen im Zugang zur Öffentlichkeit sozusagen „ausgetrickst“ und gleichzeitig sichtbar gemacht. Den Fokus des „1. Arbeitsganges“ bildet die Veröffentlichung und Sichtbarmachung feministischer Positionierungen und konfrontativer Gegen-Standpunkte in politisierter Form. Das ArchFem lud deshalb feministische Künstlerinnen, Wissenschafterinnen und politisch engagierte Frauen zu einem Gesprächsabend ein, um gemeinsam kurze, prägnante feministische Botschaften zu kreieren, die mit unkonventionellen Medien – entsprechend beschränkter Zugangsbedingungen aufgrund fehlender Ressourcen wie Entscheidungsmacht und Geld – im öffentlichen Raum platziert werden. Die auf diese Weise partizipativ entstandenen Textproduktionen wurden und werden sowohl auf Vorhänge als auch auf dreieckige LKW-Planen, die an Fahrradrahmen befestigt werden können, gedruckt.

„Hintergangen, Vorgehangen“: Vorhänge als politisches Medium

Am 8. März 2006, dem Internationalen Frauentag, haben im gesamten Stadtgebiet von Innsbruck ca. 500 Vorhänge an den Fenstern privater Wohnungen von Frauen auf die vielfältigen feministischen Anliegen der autonomen Frauenbewegung aufmerksam gemacht, nachdem die Inhalte in einem partizipativ angelegten Prozess entwickelt und die Vorhänge von Frauen selbst kollektiv genäht und schließlich bedruckt wurden. Die Vorhänge sind künstlerisch so gestaltet, dass sie an vielen verschiedenen Orten als Teil derselben Aktion wiedererkannt werden können. Sie wurden künstlerisch so designed und angebracht, dass sie nach außen gut sichtbar sind. Vorhänge zu nähen oder auszuwählen gehört in unserer Gesellschaft zu den klassischen Tätigkeiten von Frauen. Vorhänge trennen das Private vom Öffentlichen, markieren die Grenze zwischen Innen und Außen, sie erlauben Einblicke und Ausblicke. Im Projekt „Ausgetrickst und Eingenommen“ ermöglichen sie es – traditionellerweise im Privatbereich verorteten – Frauen, ihre Botschaften an dieser Schnittstelle in die Öffentlichkeit zu tragen. Trotz ihrer Wirkung nach außen gehören Vorhänge aber zum Privatbereich und unterliegen deshalb nicht den Reglementierungen im öffentlichen Raum. Für das Anbringen dieser Vorhänge ist beispielsweise – im Unterschied zu aus Fenstern hängenden Transparenten – keine Genehmigung erforderlich; kein Hausbesitzer/ keine Hausbesitzerin hat das Recht, ein Verbot auszusprechen.

„Mein Fahrrad gehört mir!“: Fahrräder als politisches Medium

Die kollektiv erarbeiteten feministischen Botschaften, die bereits ab 8. März auf Vorhängen sichtbar waren, werden am 30. April, anlässlich der Walpurgisnacht – einem weiteren Fixpunkt im feministischen Jahreskalender – einen zweiten Weg in die Öffentlichkeit finden: als bedruckte, dreieckige LKW-Planen, befestigt an Fahrradgerüsten. Dadurch erhalten sie eine alltägliche Präsenz im öffentlichen Raum und können von allen gesehen und diskutiert werden. Gleichzeitig braucht es für eine Vermittlung in dieser Form keine behördliche Genehmigung, da Fahrräder Privatbesitz sind. Auch in diesem Fall werden Reglementierungen umgangen bzw. ausgetrickst. Historisch gesehen war die Aneignung von Fahrrädern außerdem ein Symbol emanzipierter Frauen und stand für eine Überschreitung weiblicher Geschlechterrollen – nicht nur weil dies das Tragen von Hosen voraussetzte, sondern auch weil damit eine Mobilität außerhalb der so genannten eigenen vier Wände verbunden war. In unserem Projekt symbolisieren Fahrräder weiters die „Ortlosigkeit“ des Feminismus, sowohl im Sinne einer Verbannung aus öffentlichen Orten als auch im Sinne einer sich ständig in Veränderung befindenden Bewegung, die nicht auf ein fixes Programm oder eine stabile Entität festgeschrieben werden kann. Die Eröffnung dieser „Veloausstellung“ wird in Form einer kollektiven Radrundfahrt durch Innsbruck stattfinden.

2. Arbeitsgang: Feministische Realitätsproduktion

Hätten Frauen selbst einen unreglementierten Zugang zur Öffentlichkeit, würde das „Gruppenbild mit Dame“ in der Politik, die ausschließlich von Männern geführte Diskussionsrunde im Fernsehen oder die Fachtagung, bei der Männer dominieren, der Vergangenheit angehören. Wäre der Zugang der Frauenbewegung oder feministischer Künstlerinnen, Wissenschafterinnen und politisch Engagierter zur Öffentlichkeit aufgrund fehlender Ressourcen (Entscheidungsmacht, Geld, Männlichkeit) nicht beschränkt, dann wären feministische Inhalte in der Öffentlichkeit und die Thematisierung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen selbstverständlicher Bestandteil der politischen Kultur – mit allen positiven Auswirkungen im Hinblick auf eine Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse. Im Rahmen des Projekts „Ausgetrickst und Eingenommen. Eine feministische Raum-Pflege in 2 Arbeitsgängen“ wird das ArchFem im zweiten Arbeitsgang feministische Künstlerinnen dazu einladen, utopisches Potential freizulegen. Es sollen Sujets für Postkarten und Plakate gestaltet werden, die eine Realität produzieren, in der Frauen in ihrer Vielfalt ebenso wie feministische Inhalte in Öffentlichkeit und Gesellschaft einen selbstverständlichen Raum einnehmen. Tatsächliche Machtverhältnisse zu Ungunsten von Frauen sollen in der Gestaltung der künstlerischen Sujets bewusst – mit Hilfe des „So tun, als ob....“ – ignoriert, damit aber gleichzeitig Ausschlussmechanismen sichtbar gemacht werden. Durch die künstliche, simulierte Schaffung neuer Realitäten soll eine realitätsverändernde Wirkung versucht werden. Eine manipulative Veränderung der Wirklichkeit, die sich vorherrschende Täuschungsmechanismen produktiv aneignet, soll reale Herrschaftsverhältnisse subvertieren und damit eine unmittelbare politische Irritation hervorrufen. Konkret geplant sind die Gestaltung von fünf verschiedenen Sujets durch Künstlerinnen, die sowohl auf Postkarten als auch auf A1-Plakaten gedruckt werden. Politische Parteien werden angefragt, nach den beiden Wahlen im Jahr 2006 – der Innsbrucker Gemeinderatswahl und der Nationalratswahl – ihre Plakatständer 14 Tage kostenlos zur Verfügung zu stellen. Mittels einer solchen Veränderung der Realität durch Fiktion, mittels Simulation alternativer Realitäten sollen damit herrschende Realitäten destabilisiert und in Frage gestellt werden. Damit entstehen auch neue unbesetzte Zwischenräume zwischen Wirklichkeit und Fiktion, die neue und andere Öffentlichkeiten für feministische Forderungen schaffen.

Anmerkung
„Ausgetrickst und eingenommen“ ist eines von 13 Kulturprojekten, die im Rahmen von TKI open 06 gefördert werden. Mehr Infos zu den einzelnen Veranstaltungen finden sich auf der Website: ArchFem

Das „ArchFem – Interdisziplinäres Archiv für feministische Dokumentation“ ist ein seit 1993 bestehendes Kollektiv an der Schnittstelle zwischen feministischer Wissenschaft und frauenbewegter Praxis in Tirol. Neben der Archivierung frauenspezifischer Materialien und Dokumente ist das Arch- Fem auch im Bereich der feministischen Bildungsund Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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