WTF – Kulturentwicklung als Drohung

Eine ausschnitthafte Sammlung förderpolitischer Fehlschläge.

Chefsache Kunst

 

Chefsache Kunst lautete 1997 das Motto des neuen Bundeskanzlers Viktor Klima. Was für eine praktische Idee. Kurze Wege, maximaler Profilierungseffekt, ein zusammengewürfeltes Großministerium mit unaussprechbarem Namen weniger (BMWVK – BM für Wissenschaft, Verkehr und Kunst). Nur: Wer war der Chef? Klima? Dichand? Und: Wo war der Chef? Nicht nur die KünstlerInnen, auch ParlamentarierInnen beklagten, dass es nicht möglich sei, mit Klima in kulturpolitischen Diskurs zu treten. Dann 1999: Vor der Wahl brachten die Parteien ihre Personalien für die Wiederauflage der MinisterIn für Kunst in Stellung. Darunter illustre Namen und ausgewiesene Kunstaficionados wie: Elisabeth Gehrer, der damals für Auslandskultur zuständige Wolfgang Schüssel, Jörg Haider ... Auch Kunststaatssekretär Peter Wittmann konnte sich einen Kunstminister Wittmann vorstellen. Andreas Khol wetterte gegen eine „sozialistische Kunsthegemonie“. Es sollte anders kommen: Kanzler Schüssel und die FPÖ hievten Franz Morak ins bestehen bleibende Amt des Kunststaatssekretärs. Erst mit Gusenbauer kam wieder eine Ministerin für Kunst (und Unterricht und Kultur). Sie sollte ihren Chef überdauern: Gusenbauer ging, Claudia Schmied blieb, bis sie September 2013 die Stafette weitergab.

quartier 21

„Das quartier21 ist eine Trägerstruktur, die innerhalb des MuseumsQuartier Wien kleinen und mittelgroßen autonomen Kulturinitiativen auf rund 7.000 m2 Platz und Unterstützung bietet.“ Schreibt das quartier 21 auf seiner Website. Die Institutionen werden kollegial „Partner“ genannt. Ganz am Anfang des q21, 2001, sah das Konzept so aus: Es gibt (neben dem Ovaltrakt hinter der Kunsthalle) zwei zum flanierenden Kunstgenuss einladende Themenstraßen im Fischer von Erlach Trakt des Museumsquartier und die heißen, klangvoll und an der Musikgeschichte der 70er/80er Jahre orientiert Electric Avenue und transeuropa. Dort können sich kleine Kulturvereine und -ProduzentInnen um 70 Schilling pro m2 einmieten. Die bisherigen Nutzer Depot, basis Wien, Springerin, Galerienverband, AICA, Public Netbase können natürlich auch bleiben. Nein, naja, nicht ganz. Aber sie können sich bewerben. Mietverträge sollten nämlich auf zwei Jahre begrenzt sein und ein Beirat würde dann über das Innovationspotenzial der bisherigen MieterInnen entscheiden und ein lustiges Karussell der Rotation in Gang halten. „Das wird viel Ähnlichkeit mit dem Naschmarkt haben“, freute sich einer der Kuratoren, Vitus Weh. Depot und Public Netbase freuten sich weniger und kehrten dem MQ den Rücken.

Netznetz

Nicht nur Geld für eine Vielheit von tollen, jungen Netzinitiativen und
Medienkunstprojekten, sondern auch noch eine noch tollere neue Form von
Entscheidungsfindung: direkte Demokratie! „Förderentscheidungen ohne Kurator oder Jury, adäquat zum Wesen der Netzkultur partizipatorisch und egalitär“ (Stadt Wien, 8.7.2005). Nicht mehr intransparente Beamte und inkompetente Politiker entscheiden, sondern die Netzkultur-Community selbst! Aber oje, was kam dabei heraus: politische Instrumentalisierung, Technofetischismus, Klüngelbildung, schließlich die Kannibalisierung der Community. Kurz: ein Beispiel, wie von oben verordnete und mit ein paar Krümeln versehene Pseudo-Basisdemokratie ein ganzes Feld in kürzester Zeit zu Gehorsam, Unterordnung und Ausschluss bringt. Von wegen „Wesen der Netzkultur“ ...

Künstlersozialversicherungsfonds (KSVF)

Ein Fonds, der seit 2001 die soziale Absicherung von Künstler*innen mit Zuschüssen zu ihren Sozialversicherungsbeiträgen fördern soll. Doch für viele kommt es anders: Wer von vornherein zu wenig verdient, bekommt nichts; und wer wider Erwarten zu wenig verdient hat, bekommt Rückzahlungsforderungen für bereits bezogene Zuschüsse. Warum dieses Theater? Der Stehsatz von Frank Morak (ÖVP), der damals als Kunststaatssekretär fungierte: Wer so wenig verdient, arbeitet nicht professionell. 3.554,57 Euro lautete 2001 die ausschlaggebende Mindesteinkommensgrenze aus künstlerischer Tätigkeit, heute sind es 4.641,60 Euro. (Btw: Mehr als die Hälfte der Kunstschaffenden in Österreich erzielt laut BMUKK-Studie ein künstlerisches Jahreseinkommen unter 5.000 Euro.) Schon bald erwies sich Moraks Argument auch aus Sicht der Kunstförderung als Schuss ins Knie, denn er hatte die Rechnung ohne die einkommenssteuerbefreiten Stipendien und Preise gemacht. Wer beispielsweise in den Genuss solcher Auszeichnungen kam, aber nicht zusätzlich ausreichend Gewinn erwirtschaftete, verlor prompt den Anspruch aus dem KSVF. Erst bei der Novelle 2008 sollte eine Sonderregelung diese Absurdität beheben, die Mindesteinkommensgrenze jedoch blieb unangetastet.

Aber damit nicht genug: Nachdem bald offensichtlich war, dass die rigorosen Zugangsbeschränkungen umfassend griffen, folgte prompt eine Adjustierung auf der Einnahmenseite des KSVF. Bereits 2003 wurden die Beiträge des Bundes an den KSVF von zuvor jährlich knapp 2,5 Millionen auf Null gesetzt – und bis heute so belassen. Bis 2012 kam der KSVF dennoch auf ein Guthaben von fast 34 Millionen Euro, obwohl Ministerin Schmied (SPÖ) zuletzt bereits jährlich den Zuschuss erhöhte. Die Regierungsparteien nahmen dies zum Anlass – nein: nicht wie zunächst in Aussicht gestellt, endlich den Bezieher*innenkreis gezielt zu erweitern, sondern – nun auch die einzahlenden Unternehmen zu entlasten.

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