Wien, Istanbul und retour. Zum ersten türkischen Frauenfilmfestival in Wien.

Zwischen 19. und 22. April 2007 fand in Wien das erste türkische Frauenfilmfestival statt. Den Anstoß dazu gab der von der türkischen Filmemacherin Melek Özman 2003 auf Istanbuls Straßen gedrehte Kurzfilm „Klitoris nedir?“ (Übers.: Was ist eine Klitoris?), welcher in der Türkei nie öffentlich beworben wurde.

Zwischen 19. und 22. April 2007 fand in Wien das erste türkische Frauenfilmfestival statt. Den Anstoß dazu gab der von der türkischen Filmemacherin Melek Özman 2003 auf Istanbuls Straßen gedrehte Kurzfilm „Klitoris nedir?“ (Übers.: Was ist eine Klitoris?), welcher in der Türkei nie öffentlich beworben wurde.

Zur Situation von Filmemacherinnen in der Türkei

Die Festivalkinos des Internationalen Istanbuler Filmfestivals wären zu Fuß lediglich zwei Minuten voneinander entfernt, wälzte sich nicht ein zäher Menschenstrom über Istanbuls Hauptflaniermeile, Istiklal Caddesi, deren notwendige Querung für FestivalbesucherInnen eine nicht zu unterschätzende Hürde darzustellen vermag, wenn es darum geht, rechtzeitig im jeweiligen Kino anzukommen. Aber auch die Filme von Regisseurinnen aus der Türkei, zumal wenn es sich dabei um Low-Budget-Produktionen handelt, finden nicht ohne weiteres den Weg in diese Kinos, wie ein Blick auf die Liste der über 200 teilnehmenden Spiel- und Dokumentarfilme deutlich macht.

Ein lilafarbener Hoffnungsschimmer

Aus der Not eine Tugend machend, rief eine Gruppe von Frauen um Melek Özman und Ülkü Songül 2003 in Istanbul die Frauenfilmkooperative Filmmor (mor = lila) ins Leben und schuf dadurch einen Ort, der es Frauen seither ermöglicht, ihren Ansichten zu teils stark tabuisierten Themen eine (dokumentar-)filmische Form zu verleihen. Filmmor stellt bewusst ohne die finanzielle Unterstützung durch große Sponsoren mithilfe von Fördergeldern (beispielsweise Global Fund For Women, Türkisches Kulturministerium, verschiedene Konsulate, Kagider Frauenfonds) und aus Eigenmitteln neben regelmäßig abgehaltenen Filmworkshops für Frauen auch technische Mittel für Eigenproduktionen im Filmmor-Studio zur Verfügung. Damit ihre Filme Frauen in der ganzen Türkei erreichen, veranstaltet die Kooperative ihr eigenes Festival (Uluslararasi Gezici Filmmor Kadin Filmleri Festivali), mit dem sie jeden März in mehreren türkischen Städten Halt macht.

Zu Gast beim ersten türkischen Frauenfilmfestival in Wien

Außerhalb der Türkei waren diese Filme bis dato nicht zu sehen. Diesem Umstand schufen die beiden in Wien lebenden Obfrauen des Kadın Film Ferayn, Kumru Uzunkaya und Nilbar Güreş, Abhilfe, indem sie im Top-Kino das erste türkische Frauenfilmfestival in Wien veranstalteten. Im Top-Kino wurden neben bekannteren und mit Preisen ausgezeichneten Filmemacherinnen, wie Yeş im Ustaoğlu und Emel Çelebi, auch Filmmor-Produktionen, die außer - wie auch innerhalb der Türkei kaum oder gar nicht bekannt waren bzw. sind, sowie Arbeiten von in Wien lebenden Künstlerinnen aus der Türkei gezeigt. Das zahlreich erschienene Publikum konnte aus einem thematisch vielseitigen, hauptsächlich aus Dokumentar- und Kurzfilmen bestehenden Programm wählen und hatte die Möglichkeit, den während des gesamten Festivals anwesenden Filmschaffenden Melek Özman und Ülkü Songül von Filmmor, der unabhängigen Filmemacherin Emel Çelebi und einer Darstellerin aus ihrem preisgekrönten Film „Gündelikçi“ (Übers.: Tagesputzfrau), Yıldız Ay, Fragen zu stellen und mit ihnen zu diskutieren.

Aufklärung und True Stories

Die beiden Veranstalterinnen trugen ihrerseits ebenfalls mit filmischen Beiträgen zum Gelingen des Festivals bei. Kumru Uzunkaya fragt in „Was ist Klitoris?“ PassantInnen in Wien mit freundlicher Genehmigung von Melek Özman, was denn eine Klitoris sei, sozusagen als österreichisches Pendant zu Melek Özmans außerhalb von Filmmor-Festivals nie gezeigten „Klitoris nedir?“. Durch diese beiden Filme ist der Begriff „Klitoris“ um zwei weitere Definitionen, nämlich jene einer bestimmten Sorte von Rohöl sowie jene eines Zustands, bei dem der Regenbogen aufgeht, bereichert worden. In ihrer performativ angelegten Arbeit „Soyunma“ (Übers.: sich ausziehen) legt die bildende Künstlerin und Filmemacherin Nilbar Güreş, zahlreiche nach dem Vorbild ihrer weiblichen Verwandten gebundene Kopftücher der Reihe nach ab, bis ihr eigenes, unbedecktes Gesicht zum Vorschein kommt. Damit tritt sie gegen die Diskriminierung von muslimischen Kopftuchträgerinnen im öffentlichen Raum in Österreich ein. In ihrem halbdokumentarischen Film „Evli Kadın Hikayeleri“ (Übers.: Geschichten von verheirateten Frauen) lässt Nilbar Güreş, ihre Mutter Fatma im Vordergrund inszenierter Wohnräume von unheilvollen Briefen, Familiengeheimnissen und arrangierten Ehen erzählen, während sie selber im Hintergrund scheinbar unbeteiligt ihrem Körper nachgeht.

Das Genre Dokumentarfilm als Möglichkeit

Nicht zuletzt aufgrund wesentlich geringerer Produktionskosten stellt der Dokumentarfilmsektor für Filmemacherinnen, die sich heikler gesellschaftlicher Themen annehmen, eine geeignete Ausdrucksform dar. Es bleibt abzuwarten, ob die Projektion beim diesjährigen Internationalen Istanbuler Filmfestival von Berrin Balays Dokumentarfilm „Kadına Ağıt“ (Übers.: Totenklage für die Frau), der ebenfalls im Rahmen des Filmmor-Festivals gezeigt wurde und von an Frauen verübten Ehrenmorden in der Türkei handelt, als ein erster Schritt für ein Kino zu sehen ist, das zukünftig einen festen Platz in den verschiedensten Festivals einnimmt, um seine sozialkritischen Inhalte an den Mann und an die Frau zu bringen.

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Nilbar Güreş

Gülçin Körpe ist Übersetzerin und Untertitlerin, lebt in Wien

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