Von der Unselbstständigkeit in die Schulden. Die Umwandlung der Universitäten von Staatsbetrieben in private Unternehmen

Unter dem propagandistischen Vokabel "Nulldefizit" findet derzeit in Österreich ein gesamtgesellschaftlicher Umbau statt, der die Zerschlagung ganzer Milieus und Institutionen in Angriff nimmt. Ohne Zweifel sind die öffentlichen Bereiche Verwaltung, Ausbildung oder Gesundheitswesen in fundamentale Krisen geraten. Am Ende des Staates steht die Neugründung der Gesellschaft als Unternehmen.

Unter dem propagandistischen Vokabel "Nulldefizit" findet derzeit in Österreich ein gesamtgesellschaftlicher Umbau statt, der die Zerschlagung ganzer Milieus und Institutionen in Angriff nimmt. Ohne Zweifel sind die öffentlichen Bereiche Verwaltung, Ausbildung oder Gesundheitswesen in fundamentale Krisen geraten. Am Ende des Staates steht die Neugründung der Gesellschaft als Unternehmen. Verantwortung wird ausgelagert, Schulden umgewälzt, ineffiziente Bereiche abgestoßen. Das betrifft auch und gerade jene Stätten, deren Funktion in der Reproduktion von Eliten besteht: die Universitäten.

Mit dem neuen Dienstrecht auf der einen und der Einführung von Studiengebühren auf der anderen Seite wird der Rahmen für die Ausgliederung der Universitäten geschaffen. "Autonomie" und "Vollrechtsfähigkeit" bezeichnen die Umwandlung der Unis von Staatsbetrieben in private Unternehmen.

Gilles Deleuze beschreibt solche Prozesse in seinem Aufsatz "Postskriptum über die Kontrollgesellschaften” (in: G. D. Unterhandlungen 1972-1990. Suhrkamp 1993) als Übergang von der Disziplinar- in die Kontrollgesellschaft, der mit den Institutionen auch die Beziehungen und Verhaltensweisen verändern wird. Mit der Privatisierung der Unis werden die Techniken der Macht, die sich an ihnen im Umgang mit staatlich-bürokratischer Einflussnahme gebildet haben, nicht mehr gelten.

Man muss die universitären Institute und Fakultäten als ein Geflecht von Beziehungen, in denen eine spezifische Arbeit steckt, begreifen, um das Ausmaß des Wandels zu erkennen, der bevorsteht. Als Teile eines Staatsbetriebs sind sie nicht nur die Summe der Inhalte und Methoden, die vertreten und gelehrt werden. Nicht nur in, auch jenseits der Lehrveranstaltungen wird gearbeitet, und zwar an den Organisationseinheiten. In der Verteilung der räumlichen, zeitlichen und ökonomischen Ressourcen entwickeln und stabilisieren sich die Produktionsweisen der Machterhaltung: Hierarchien, Seilschaften und Intrigen bilden ein Arsenal an Verhaltensweisen und Mentalitäten. An ihnen wird man den Unterschied zwischen einer staatlichen und einer privaten Uni feststellen.

Wir kennen die von Kafka entworfenen Figuren auf den unteren Ebenen der Machtapparate (Gerichtsdiener, Advokat, etc.). Sie legitimieren sich dadurch, dass sie die abstrakten Institutionen und ihre Gesetze zu kennen behaupten und sich an einem spezifischen Platz unverrückbar eingenistet haben. Das Zustandekommen der Uni-Institute muss man sich ähnlich vorstellen. Die ihnen eigene Statik beruht auf der Tatsache, dass ihre RepräsentantInnen sich oft so verhalten, als seien sie von einer transzendentalen Größe inthronisiert worden.

Die Legitimation in privaten Unternehmen funktioniert gegenläufig: Der Einzelne muss sich dadurch positionieren, dass er ständig die Bereitschaft bekundet, sich zu bessern und seinen Platz zu verlassen. Was ihm bis dato von außen vorgegeben war, ein bestimmtes Profil an Anstrengungen, um sich dem Staat als transzendentalem Außen gegenüber zu legitimieren, muss nun verinnerlicht werden. Ein rechtmäßiger ist von einem unrechtmäßigen Bewerber nicht mehr durch seinen Willen zur Disziplin, sondern durch seinen Willen zur Konkurrenz zu unterscheiden. Das wird, wie ich schon angedeutet habe, eine massive Umbildung der Techniken der Macht zur Folge haben. Überspitzt gesagt, wird es neue Formen der Korruption erzeugen, den latenten Kriegszustand aber, der auf den Instituten herrscht, wird es nicht beenden: Dem Scheinfrieden von Gottes StellvertreterInnen folgt die spielerische Mobilmachung der neurolinguistisch Programmierten. Das macht den Apparat poppiger, aber kaum weniger kafkaesk.

Die Institutionen werden sich dadurch als veränderbar erweisen, dass sie sich auch diesmal nicht als Akkumulation von kollektiven Erfahrungen begreifen, deren Organisationsform sich aus dieser Akkumulation selbst regulieren müsste. Die Anpassungen und Veränderungen in den Verhaltens- und Produktionsweisen werden schnell vonstatten gehen, weil der hohe Außendruck die Anpassungen zwangsläufig beschleunigen wird, die Verhältnisse aber bleiben gleich, sie werden nur kostengünstiger verwaltet.

"Es ist nicht nötig zu fragen, welches das härtere Regime ist oder das erträglichere", schreibt Deleuze in Bezug auf den Übergang von der Disziplinar- in die Kontrollgesellschaft, "denn in jedem von ihnen stehen Befreiungen und Unterwerfungen einander gegenüber."

Die Studierenden sind als letztes Glied der Kette und mit den Studiengebühren einer finanziellen und institutionellen Unterwerfung ausgesetzt. Ab Herbst wird die Uni die Ware Bildung um zunächst öS 5.000.- pro Semester verkaufen. Man täusche sich nicht: Bei abgeschlossener Ausgliederung werden die Gebühren mindestens das Dreifache betragen, weil v. a. geistes- und sozialwissenschaftliche Institute aufgrund fehlender Drittmittel den Betrieb sonst nicht aufrechterhalten können. Die vom Staat geforderte ausgeglichene Bilanzierung der Bildungsunternehmen wird letztlich die "Kunden" treffen. Die Uni wird mit ihren AbsolventInnen dasselbe machen wie der Staat mit der Uni: Sie wird sie in die "Autonomie" entlassen, d. h. in Schulden treiben. Dafür ist dann jede/r ihr/sein eigenes Mikrounternehmen.
Wenn die Ministerin Gehrer sagt, dass ein Studienjahr öS 100.000.- koste, dann lügt sie erstens und betreibt zweitens einen gesellschaftspolitischen Revisionismus: Der kostenfreie Hochschulzugang wird in einen ökonomisch-politischen Ausnahmezustand umdefiniert, dem man jetzt mit "moderaten" Mitteln ein Ende setze. Die Schuldenlast wird auf die/den Einzelne/n umgewälzt. Wer bis dato Schulden beim Staat gemacht hat, die/der solle wenigstens ab Herbst seinen Beitrag leisten.

Nicht nur die Uniangestellten, auch die Studierenden werden ihr Verhalten den neuen Gegebenheiten anpassen. Studentische Arbeit in Seminaren, Projektgruppen und Forschungslabors wird einerseits ein Abarbeiten der Schulden sein, die dem Staat und dem Unternehmen Universität entstehen, andererseits wird Ausbildung nicht als selbstständiges Aneignen, Erarbeiten von Wissen und Kompetenzen, sondern als Konsumieren von Dienstleistungen wahrgenommen.

Es wird nicht allzu lange dauern, und wir werden auf den Universitäten die ersten KonsumentInnenschutzprozesse erleben. Liegen gebliebene Diplomarbeiten und Zeugnisse, ungerechte Beurteilungen werden Kohlhaas'sche Gestalten erzeugen. Im Zusammenhang mit medialer Aufbereitung könnte darin sogar eine bestimmte Wirkung liegen. Das Recht, das sich der/die Einzelne so erstreitet, wird aber mit dem ersten Präzedenzfall ein Recht auf Konsum bleiben.

Nicht nur jenseits der Lehrveranstaltungen, auch in ihnen wird damit das Kriegsrecht prolongiert. Die Umbildung der Unis in Unternehmen folgt einer Vorstellung von Wettbewerb und Konkurrenz, die sich eigentlich nicht auf diese umlegen lässt. Da sie aber von mächtigen Männern wie dem Eferdinger Ziegelhändler Christoph Leitl auch und gerade für die Universitäten als Leitkultur ausgerufen wird , wird sie auch konkrete Auswirkungen auf jene haben, die an der Uni bleiben wollen. "Schluss mit dem Staatsdienertum!" ruft der Ziegelhändler. "Nur Wettbewerb wird die Qualität der österreichischen Universitäten auf ein Niveau heben, das ihnen erlaubt, auch international zu bestehen." Was für eine Art von Wettbewerb das sein soll, bleibt ungeklärt. Ich würde mir nicht anmaßen, über das Funktionieren von Wirtschaftsunternehmen zu philosophieren, weil ich mich damit nicht beschäftigt habe. Für die Universitäten sind Kooperation und Austausch von Wissen mit Sicherheit niveaufördernder als Wettbewerb. Wir haben es bei Leitls Worten nicht mit einem Konzept, sondern mit einer Verordnung zu tun. So viel hat der Ziegelhändler von der Sprache verstanden: dass ihre wesentliche Funktion im Befehlen besteht. Weder eine Rückkehr zur Stabilität der Disziplinargesellschaft noch eine Flucht in eine utopische Gegenwelt wären Antworten auf das, was uns bevorsteht. An den Universitäten könnten aber laborartige Situationen entstehen, die Selbstbestimmung zunächst als Bestimmung der eigenen Organisations- und Produktionssituation begreifen.

Fest steht, dass sich sowohl die Lehrenden als auch die Studierenden zu den neuen Verhältnissen positionieren müssen. Letztere haben es im Wahlergebnis der ÖH-Vertretungswahlen im Mai 2001 andeutungsweise schon getan. Die ab Herbst regierende rot-grüne Koalition unter Beteiligung der kommunistischen StudentInnen sollte sich als ein Experiment begreifen, dem es darum geht, Möglichkeiten gewerkschaftlicher Arbeit in der Kontrollgesellschaft auszuloten. Es wird nicht funktionieren, wenn sich das Projekt (wie in den Jahren 1995-97, dem ersten Versuch einer links-liberalen Koalition) als Projektion der eigenen politischen Phantasmen entpuppt. Im Gegenteil, es geht um ein Programm, das die wirklichen politischen Leidenschaften formuliert, und es geht um eine Wiederaneignung der Universität als Lebens- und Erfahrungsraum, der sich in seiner Lebendigkeit wieder mit anderen Erfahrungsräumen assoziieren könnte...

Helmut Neundlinger ist Musiker und Schriftsteller, lebt in Wien.

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