Pascal Goeke: Transnationale Migrationen. Post-jugoslawische Biografien in der Weltgesellschaft.

Der Versuch, die Begriffe wie „Nation“, „Staat“ und daraus resultierende Identifikationen zu dekonstruieren oder gar zu widerlegen, mündet bloß darin, dass sie aufs Neue reproduziert werden, indem einige der Befragten gerade ihre nationale Identität hervorheben, vor allem jene, die sich nun frei und stolz als KroatInnen bezeichnen, was ja früher in diesem „autoritären“ Jugoslawien „verboten“ und z.B. durch Verweigerung des Passes sanktioniert worden wäre…

Die Migrationsforschung liegt im Trend und hat Hochkonjunktur, sowohl theoretisch als auch empirisch. So legt auch Pascal Goeke seine wissenschaftliche Arbeit an, davon ausgehend, dass die zentrale migrationswissenschaftliche Auseinandersetzung der letzten Jahre, nämlich zwischen den auf Transnationalität basierenden Theorieansätzen einerseits und den Assimilations- bzw. Integrationstheorien andererseits, zu kurz greife und der im Prinzip gleiche Beobachtungsrahmen beider Theorieoptionen der Grund für ihre Erkenntnisarmut sei. Daher versucht er, diese gewissermaßen zu dekonstruieren und anhand der systemtheoretischen Position, deren Blickumstellung sich sowohl auf die allgemeine von Niklas Luhmann erarbeitete Systemtheorie als auch auf die migrationswissenschaftliche Anpassung dieser Theorie von Michael Bommes stützt, die zentralen Begriffe der Migrationsforschung wie etwa „Nation“, „Identität“, „Assimilation“, „Integration“, „Trans­­nationali­sierung“ etc. neu zu justieren.

Und so geht es im ersten (theoretischen) Teil des Buches auf über 200 Seiten um die Darstellung der vielfältigen Vorteile des systemtheoretischen Blickwinkels, um dann mit dem Analysepotenzial der Systemtheorie im zweiten (empirischen) Teil des Buches zu zeigen, wie sich vielschichtige transnationale Strukturen, Biografien und Identifikationen aus der alten „Gastarbeitermigration“ zwischen Ex-Jugoslawien und Deutschland entwickelt haben. Dieser empirische Teil basiert auf 23 Interviews mit MigrantInnen, die unter anderem zeigen sollen, dass sie von einer Transnationalisierung ihrer Lebensführung profitieren können und so als Teil der globalisierten Welt, pardon: Weltgesellschaft, inkludiert werden und dass ihnen der soziale Aufstieg gelingt, weil sie ja gerade hier und dort aktiv sind. Die Auswahl der Personen erfolgte aufgrund Goekes Kontakte zur Katholischen Mission in Nürnberg, teilweise zu verschiedenen migrantischen Vereinen und zur serbisch-orthodoxen Kirche; nur zur moslemischen Glaubensgemeinschaft sei der Zugang schwierig gewesen. Von den 23 Personen gaben 14 die kroatische Staatsbürgerschaft an, die anderen neun die bosnische, serbische oder jugoslawische.

Und da schlägt die Empirie zurück: Der Versuch, die Begriffe wie „Nation“, „Staat“ und daraus resultierende Identifikationen zu dekonstruieren oder gar zu widerlegen, mündet bloß darin, dass sie aufs Neue reproduziert werden, indem einige der Befragten gerade ihre nationale Identität hervorheben, vor allem jene, die sich nun frei und stolz als KroatInnen bezeichnen, was ja früher in diesem „autoritären“ Jugoslawien „verboten“ und z.B. durch Verweigerung des Passes sanktioniert worden wäre…

Summa summarum: Der theoretische Teil des Buches bietet möglicherweise intellektuell spannende Ansätze für jene, die sich für Systemtheorie interessieren; der empirische Teil hinterlässt einen etwas einseitigen Eindruck, indem er uns in den so genannten problemzentrierten Interviews eher „pro-kroatische“ als „post-jugoslawische“ Biografien erzählt. Oder, wie es schon Pierre Bourdieu auf den Punkt brachte: „I think if I were Japanese I would dislike most of the things that non-Japanese people write about Japan.“ (In: Practical Reason. On the Theory of Action, Cambridge: Polity Press 1998, S. 1)

Pascal Goeke: Transnationale Migrationen. Post-jugoslawische Biografien in der Weltgesellschaft. Bielefeld: transcript Verlag 2007

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