Nichts Passt

Dass es über 200 Einreichungen bei einem Wettbewerb ohne jedes Preisgeld gab, unterstreicht das große Interesse von Menschen im Aus- und Inland am Lueger Denkmal und an seiner Umgestaltung.

Das Lueger-Denkmal am Stubentor ist von so ausnehmender Hässlichkeit, dass man sich nur darüber wundern kann, warum seine Anhänger nicht schon längst für eine Umgestaltung gesorgt haben. (Ob es Anhängerinnen gibt, weiß ich nicht; sie sind auf dem Monument jedenfalls denkbar schlecht vertreten und hätten allen Grund, sich abzuwenden.)

Die Hässlichkeit des Bauwerks kann man nicht auf die sich angeblich verändernden Geschmäcker und ästhetischen Standards verrechnen. Schon 1913 schrieb die Wiener Bauindustrie-Zeitung (1913, Nr. 11, S. 96-97) in einer Rezension der im Schönborn’schen Palais ausgestellten Entwürfe zum geplanten Denkmal: „Man ist im allgemeinen, wenn es sich um Bildhauerkonkurrenzen handelt, nicht eben sonderlich verwöhnt. Man weiss es und ist darauf gefasst, dass neben einer Anzahl mehr oder weniger gediegener Durchschnittsleistungen ein geradezu erschrecklicher Wust von Unsinn und Geschmacklosigkeit einherläuft. (...) Nichtsdestoweniger stehen wir diesmal vor einer Denkmalkonkurrenz, die alle ihre Vorgängerinnen so weitaus an künstlerischen Ungeheuerlichkeiten übertrifft, dass der Ausdruck Debacle noch eine milde Umschreibung der Wirklichkeit ist: – wir meinen die Konkurrenz um das Karl Lueger-Denkmal.“

Die Rezension verzichtet folgerichtig auf die Besprechung einzelner Entwürfe und fragt stattdessen, wie es zu einem solchen „Debacle“ hat kommen können. Zwei Gründe werden genannt: Statt, wie beteuert, einen Mann zu ehren, galt es, „vor allem ein Zeugnis für die Macht und das Ansehen jener politischen Partei abzulegen, als deren Repräsentant der Verstorbene – mit Recht oder Unrecht bleibe dahingestellt – gegolten hatte“. Diese Verlogenheit führte der Rezension zufolge zu verschiedensten Fehlern im Maßstab: „Und indem man solcherart statt eines Erinnerungsdenkmals ein Demonstrationsdenkmal zu errichten beschloss, vergriff man sich von alle(m) Anfang an im Massstabe. (...) Man mass und mass an dem toten Bürgermeister und fand ihn immer größer und größer, je länger man mass. Allein der Massstab selbst – war eben falsch. Denn er war der nächsten Umgebung des Bürgermeisters angepasst. So kam es also, dass der Wettbewerb um das Dr. Karl Lueger-Denkmal ab ovo an dem Uebel völliger Diskrepanz zwischen Inhalt und Form, zwischen Möglichem und Gewolltem, zwischen Vernunft und Leidenschaft krankte. Und das Ergebnis, das wir nun vor uns sehen, ist in seiner Kläglichkeit nichts anderes als der sozusagen plastische Ausdruck jenes inneren Widerspruchs.“

Die Rezension von 1913 weist auch schon auf das hin, was noch immer der erste Eindruck ist, wenn man das Denkmal ohne Kenntnis des politischen Hintergrunds anschaut: Es ist eine Karikatur. Weil eben die Proportionen nicht stimmen und weil die Inhalte insbesondere der Reliefs einem schlechten Softporno entnommen scheinen. Warum müssen diese armen Kerle in etwas, das wie nasse Hosen aussieht, schuften? Damit man auch die überquellenden Muskeln ihrer Beine und nicht nur den Protz der entblößten Oberkörper und Arme bewundert? Fast möchte man unflätige Sprechblasen hinmalen.

Aber das Zoten-Reißen vergeht einem, sobald man damit angefangen hat. Denn aus heutiger Perspektive kann man schlicht und einfach nicht nicht mitdenken, was mit den Jüdinnen und Juden passiert ist, die zu definieren Lueger sich heraus nahm und die zu diffamieren der Kern seiner demokratiefeindlichen Politik war. Selbst Kaiser Franz Josef I. weigerte sich mehrmals, die Wahl Luegers zum Bürgermeister von Wien zu bestätigen. Er befürchtete mit Recht, dass es unter Lueger mit der Gleichbehandlung der Wiener_innen vor dem Gesetz schnell zu Ende sein könnte.

Ein ästhetisch misslungenes Denkmal an so exponierter Stelle, nämlich an einem ihrer alten Haupttore aufzustellen, ist für eine Stadt, die angeblich viel auf Kunst und Kultur hält, peinlich genug. Einem Hetzer gegen die jüdische Bevölkerung Wiens und Verächter demokratischer Prinzipen ein Denkmal nicht nur zu setzen, sondern dieses bis heute vollständig unkommentiert zu lassen, ist für ein Gemeinweisen, das eine Demokratie sein will, eine Schande. Hinzu kommt, dass der Bildhauer des Denkmals, Josef Müllner, ein offener Sympathisant des Nationalsozialismus war (vgl. Nierhaus 1990: insbes. S. 130, Fußnote 106). Er hat seine Heimatinstitution, die Akademie der bildenden Künste Wien, mit einer selbst entworfenen Hitlerbüste ausgestattet und ist für den umstrittenen Siegfried-Kopf verantwortlich, der lange Zeit in der Aula der Universität Wien verehrt wurde und in umgestalteter Form seit 2006 im Arkadenhof der Universität zu sehen ist. Zuvor schon hat Müllner u. a. den Wehrmann in Eisen am Wiener Rathaus entworfen, der der Kriegspropaganda für den Ersten Weltkrieg diente.1

Der Wettbewerb zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals
Vor diesem Hintergrund muss man mehr als froh sein, dass der Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus 2009 die Initiative ergriffen und einen Wettbewerb zur Umgestaltung ausgeschrieben hat. Dass es über 200 Einreichungen bei einem Wettbewerb ohne jedes Preisgeld gab, unterstreicht das große Interesse von Menschen im Aus- und Inland am Lueger Denkmal und an seiner Umgestaltung. Die Prämierung des Entwurfs von Klemens Wihlidal spricht m. E. sowohl für das Projekt des Arbeitskreises als auch für die Arbeit der Jury. Ich kann diesen Entwurf zwar nicht mit anderen Einreichungen vergleichen, da ich über diese keine Informationen habe. Für den prämierten Entwurf, der schlicht vorschlägt, die Statue um 3,5 Grad nach rechts zu neigen, spricht aber in jedem Fall viel. Es ist ein intelligenter Vorschlag, einen unübersehbar markanten Eingriff vorzunehmen, ohne das, was bislang als Normalität galt und noch immer gilt, einfach auszulöschen. Darin ist der Entwurf von Wihlidal nicht nur einer zur Umgestaltung. Er ist auch eine verräumlichte, sinnlich erfahrbare Reflexion auf die ästhetischen und politischen Normalitätsvorstellungen in Wien. Man kann leicht imaginieren, dass in Zukunft Menschen, die jetzt am Lueger Denkmal wie an vielen anderen merkwürdigen Monumenten vorbeigehen, weil sie zur Stadt gehören wie die Autos oder Handymasten, mit leicht geneigtem Kopf fragen, warum dieses Denkmal schräg steht und was hier nicht stimmt.

Das ist zweifelsohne eine schlaue Strategie, mit der Schräglage der gesamten Diskussion über Lueger umzugehen. Aber Wihlidals Vorschlag ist eben noch mehr. Meines Erachtens thematisiert sein Entwurf auch das Schräge und Disproportionale des eigenen Eingriffs mit. Er legt Rechenschaft davon ab, dass ein solcher Eingriff nicht genug ist, solange es in Wien einen Lueger-Ring gibt, der u. a. auf dem Briefkopf der Universität Wien steht; dass es auch etwas Ohnmächtiges hat, sich noch mit Lueger herumschlagen zu müssen, wo es doch in der Gegenwart nicht weniger Rassismus gibt als in den Zehner-, Zwanziger und Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Es ist eben alles schräg. Nichts passt. Doch wo Müllner alles offenkundig Disproportionale zu verdecken probierte, stellt Wihlidal die Unverhältnisse ins Zentrum. Sein Entwurf setzt die für die Gegenwart richtigen Zeichen und nimmt in Kauf, dass in 50 Jahren möglicherweise andere fällig sind. Vielleicht gibt es dann keinen Lueger-Ring mehr, vielleicht viel entsetzlichere Ringe.

Ein Wunsch zum Schluss
Wenn ich mir zum Schluss etwas wünschen darf, dann wäre es Folgendes: Auf der Homepage des Arbeitskreises Luegerplatz soll nie der Kommentar zu lesen sein, mit dem die Homepage der Universität Wien ihren Umgang mit dem Siegfried-Kopf beendet hat: „Wissenschaftlich aufgearbeitet und künstlerisch neu gefasst“ (vgl. www.univie.ac.at/universitaet/forum-zeitgeschichte/projekte/siegfriedsk…, 24. 08.2010). Angesichts der aufschlussreichen Debatten, die nach dem Beschluss zur Umgestaltung und Verlagerung des Siegfried-Kopfs um 1990 herum geführt wurden (vgl. Davy/Vašek 1991), kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in diesem Fall die Debatte mehr Aufklärung brachte als das neue Denkmal, das die Bestandteile des Kopfes – halbherzig modernistisch – unter leicht verdauliche, transparente Quader bringt und mit nicht gut leserlichen (aber lesenswerten!) Texten beschriftet. Damit will ich nicht sagen, dass es keine (Um-)Besetzungen des öffentlichen Raums mit Denkmälern geben sollte oder dass solche Monumente per se Debatten ruhig stellen – im Gegenteil. Aber ästhetisch-politische Zeichenpolitik ist eine verdammt schwierige Herausforderung. Dafür, dass er diese Herausforderung nicht nur angenommen, sondern selbst gefordert hat, gebührt dem Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus allergrößter Respekt – sowohl aus Gründen der Kunst als auch aus Gründen der Demokratie.

1 An der Akademie der bildenden Künste Wien hat in jüngster Zeit die „Plattform Geschichtspolitik“ auf die Verflechtungen Müllners mit dem Nationalsozialismus hingewiesen und auch Vorschläge zur Umgestaltung einer Müllner-Skulptur in der Aula der Akademie gemacht (Informationen zur Plattform finden sich u.a. auf: Plattform Geschichtspolitik).

Literatur
Davy, Ulrike/Vašek, Thomas (1991): Der „Siegfried-Kopf“. Eine Auseinandersetzung um ein Denkmal an der Universität Wien. Wien.
Nierhaus, Irene (1990): „Adoration und Selbstverherrlichung. Künstlerische und kunstpolitische Schwerpunkte der Akademie der bildenden Künste von den dreißiger bis Ende der vierziger Jahre“. In: Im Reich der Kunst. Die Wiener Akademie der bildenden Künste und die faschistische Kunstpolitik, hg. von Hans Seiger et al., Wien.
Der Hinweis auf die Besprechung in der Wiener Bauindustriezeitung (Nr. 11, 1913, S. 96-97) ist dem überaus informativen Eintrag zum Lueger Denkmal auf der Homepage des „Viennatouristguide“ entnommen: Luegner Denkmal (24. 08. 2010).

Ruth Sonderegger lebt in Wien und unterrichtet an der Akademie der bildenden Künste Wien Philosophie und ästhetische Theorie.

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