Leben auf der falschen Spur. Zur Ausstellung „Leben auf der Flucht“

Ich weiß nicht, an welchem Punkt sich die Ablehnung in meinem ganzen Körper breit machte. War es bereits beim Beginn der Ausstellung, als wir durch den Vorhang in die andere Welt, die Welt des Flüchtlingslagers traten? Oder als ich die ersten Kinder laut lachend beim probieren tansanischer Stoffe sah. Spätestens beim Betrachten der Puppen, die als Modelle für unterernährte Kinder in der Abwiegestation hingen, überkam es mich.

m folgenden dokumentieren wir eine Debatte zwischen ZOOM Kindermuseum / Ärzte ohne Grenzen und der Kulturrisse-Redaktion im Anschluss an den Artikel von Belinda Kazeem zur Ausstellung "Leben auf der Flucht" in Heft 1/2007 der Kulturrisse.

Zoom & Ärzte ohne Grenzen Antwort Kulturrisse

Eine Ausstellung von Ärzte ohne Grenzen und dem Kindermuseum Zoom. Ein gemeinschaftlicher Versuch, authentische Inhalte zu vermitteln. Und das klägliche Scheitern, der Faszination einer eurozentristischen Bilderwelt zu widerstehen.

Ich weiß nicht, an welchem Punkt sich die Ablehnung in meinem ganzen Körper breit machte. War es bereits beim Beginn der Ausstellung, als wir durch den Vorhang in die andere Welt, die Welt des Flüchtlingslagers traten? Oder als ich die ersten Kinder laut lachend beim probieren tansanischer Stoffe sah. Spätestens beim Betrachten der Puppen, die als Modelle für unterernährte Kinder in der Abwiegestation hingen, überkam es mich.

Wo war ich hier gelandet?

Ärzte ohne Grenzen (ÄoG) und das Zoom Kindermuseum haben einen Anspruch. Sie wollen Kinder ab 6 Jahren, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen mit allen Sinnen erfahren lassen, wie das Alltagsleben in einem Flüchtlingslager vor sich geht (vgl. Ankündigungstext). Erstmals wurde versucht die ehemals nur für Erwachsene konzipierte Ausstellung und deren Inhalte auch für Kinder zu öffnen, ihnen die Möglichkeit zu geben, in die Rolle von Flüchtlingen zu schlüpfen.
Eigentlich ein rühmliches Ziel, könnte an dieser Stelle gesagt werden. Das Problem ist wohl, dass rühmliche Ziele oder Ansprüche nicht unbedingt rühmlich enden. Oder einfacher gesagt: Gut gemeint, ist nicht unbedingt gut gemacht.

Trommeln, Seuchen und Latrinen

Die Führung beginnt vor dem Vorhang, der die Eingangshalle des Zoom Kindermuseums vom „Flüchtlingslager“ trennt. Wir werden begrüßt, sollen uns Refugee Cards mit Eintragemöglichkeiten für Namen, Gewicht, etc. um den Hals hängen. Wir dürfen eintreten. Und dann endet die Führung auch schon. Wir könnten uns entweder einer anderen Gruppe anschließen oder selbst das „Flüchtlingslager“ erkunden. Ganz wie wir wollen.

Nach einer Weile unmotivierten Herumstehens und Beobachtens der Geschehnisse, schließen wir uns einer Gruppe an und steigen bei der Trinkwasserstation ein. Hier wird uns erklärt, dass Wasser holen in Afrika „traditionell“ die Aufgabe von Frauen und Kindern wäre und wir, wenn wir wollten, einfach mal versuchen sollten die Kanister hoch zu heben. Moment mal, ging es bei der Ausstellung nicht um Leben auf der Flucht? Und wieso ist diese Flucht in Afrika angesiedelt? Afrika? Welches Land war ja anscheinend egal. Alleine der Hinweis auf Afrika soll ausreichen, um in BesucherInnen Bilder von Dürre und Wasserknappheit auszulösen.

Ich schlucke meine Einwände hinunter, Erklärungen wird es ja sicherlich noch später geben, und konzentriere mich wieder auf die vorherige Aufforderung an die Kinder, doch mal die Kanister hochzuheben. Folglich ist das, was kommt, eher lustig als informativ. Kinder, die versuchen, mit „traditionellen“ Stoffauflagen auf dem Kopf, schwere Kanister zu balancieren, und dabei noch schneller, als der/die Schuldfreund/in sein wollen, animieren eher zum lachen, als zum nachdenken. Die Frage, wieso Menschen in der westlichen Welt am Tag 150 Liter Wasser verbrauchen können und andere Menschen nur einen minimalen Prozentsatz davon, kann da schon mal in den Hintergrund treten.

Nein, ich will kein Wasser auf meinem Kopf herum tragen

Ich will jetzt endlich mal eine Erklärung, wieso diese Trinkstation in Afrika verortet ist. Doch fragen ist nicht möglich, weil ein paar Kinder die Trommeln entdeckt haben, die auf der anderen Seite arrangiert wurden. Ok, etwas warten, bis alle wieder an der Trinkwasserstation angekommen sind und weiter geht’s zu den Latrinen. Die dürften natürlich im wirklichen Flüchtlingslager nicht nebeneinander sein, ist eh klar. Wer will kann jetzt mal reingehen, es gibt sogar eine Plastiknachbildung von den Verdauungsrückständen. Näher will ich jetzt nicht darauf eingehen, sämtliche „iiiiehhhh“- und „pfui“-Ausrufe lass ich einfach mal aus.

Wir gehen weiter zu der nächsten Station. Ein niedriges Zelt, Gewichtstabellen, Maßstäbe und Vorrichtungen, in die die kleinen PatientInnen hineingehängt werden, um ihre Größe und ihr Gewicht zu messen. Während ich versuche, herauszufinden, was mich mehr verstört, das Umgehen der Kinder mit den „Puppen“ oder die Puppen selbst – kalkweiß mit hängenden Gliedmaßen und unverkennbar afrikanischen Gesichtszügen –, wird anschaulich erklärt, wie dieses Abwiegen vor sich geht. Besonders interessant die Stelle, an der die Angestellte des Zooms erklärt, wieso diese Kinder unterernährt sind. „Ja“, deutet sie einem kleinen Mädchen, „du hast recht, bereits die Mütter sind unterernährt. Und genau, zu Essen gibt´s dort auch nicht genug.“

Hinterfragen ist nicht

Und dass die Fragen nach Unterernährung nicht mit solch einfachen Antworten beendet werden sollten, liegt auf der Hand. Die Schuld für Unterernährung wird somit auf die Bevölkerung oder ein Land, hier einen ganzen Kontinent geschoben. Abgesehen davon, war ich meine Frage, wieso all diese Stationen in Afrika angesiedelt waren, noch immer nicht losgeworden. Und schön langsam war ich sicher, dass ich auch keine Antworten mehr bekommen würde. Auch deshalb verzichtete ich im Weiteren auf die restliche Gruppe. Es ist müßig die weiteren Stationen zu beschreiben. Und auch unnötig zu sagen, dass ich dem bunten Treiben nicht mehr lange zuschauen wollte/konnte.

Exotik, Ekel und eine Prise Mitleid

Obwohl ÄoG auf ihrer Website die Meinung vertreten, dass „die Gesundheitssituation eines Landes immer auch ein Spiegel der politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten sei, und es sich deshalb nur selten um ein isoliertes, medizinisches Problem handeln würde“, werden sie diesem Anspruch innerhalb der Ausstellung nicht gerecht. Sämtliche Fragen nach dem Entstehen von Fluchtnotwendigkeiten oder den Hintergründen von Vertreibung werden ausgeblendet. Historisch gewachsene Missstände werden als gegeben, als immer schon da gewesene Konstanten, nicht hinterfragt, und somit auch den BesucherInnen die Möglichkeit verweigert, sich tiefer mit dem Gezeigten auseinander zu setzen.

Nora Sternfeld, eine in Wien lebende Kunstpädagogin, hat in einem Gespräch mit der Zoom-Direktorin Elisabeth Menasse-Wiesbauer und Marion Jaros von ÄoG auf die Eindimensionalität der vermittelten Inhalte und das fehlende Hinterfragen der gesellschaftlichen und politischen Ursachen von Flucht hingewiesen (vgl. Krichmayer 2006). Im Weiteren entgegnet Jaros, dass es ÄoG nicht um das Warum gehe, sondern um das Recht jedes Menschen auf medizinische Versorgung. Somit bleibt aber auch die Möglichkeit, Kindern tatsächlich den Themenkomplex Flucht zu vermitteln, auf der Strecke. Eingebettet in ein kitschiges, wildromantisches Setting, Strohmatten, afrikanische Stoffe, ein paar Trommeln und Feuerstellen, werden Bilder aufgerufen, die den meisten BesucherInnen, egal ob jung oder alt, ohnehin aus TV, Schulbüchern und von Spendenplakaten bekannt sind.

Hier ist nicht Leben auf der Flucht. Hier ist Leben auf der Flucht. Afrika Special

Die Plakate an den Wänden machen die Sache auch nicht besser. Und bei der Betrachtung fällt mir dann auf, was mich von Anfang an gestört hat. Die Mehrheit der Plakate zeigt AfrikanerInnen jeden Alters. Besonders „beliebt“ sind natürlich Bilder von kleinen, Schwarzen Kindern, die entweder ausgehungert und mit weit aufgerissenen Augen oder viele auf einmal glücklich lachend, mit abgerissenen Hosen und ohne Schuhe gezeigt werden. Dazwischen gibt´s dann afrikanische Mütter, von Not und Trauer gezeichnet, und vereinzelt auch Weiße Gesichter, bezeichnenderweise bei der Trinkwasser- und Impfstation und am Ende der Ausstellung. Ich hoffe bloß, dass am Schluss nicht die Tasche, die eine der BesucherInnen mit sich herumträgt (Schwarzes Kind mit weit aufgerissenen Augen) zum Verkauf angeboten wird.

Auch wenn wir wissen, dass ÄoG ebenso in Einsatzgebieten außerhalb Afrikas arbeitet, wird hier Flucht, Armut und Vertreibung klar in Afrika verortet. Dass nebenbei afrikanisches Kinderspielzeug, Kleidung, etc. ebenfalls auf eine Ebene mit Armut und Flucht gestellt wird, obwohl diese Dinge im Alltag vieler Menschen eine selbstverständlich positive Rolle spielen, wird ebenso verdrängt, wie der Fakt, dass es in Afrika, wie auf jedem anderen Kontinent auch, Menschen verschiedener Einkommensklassen gibt.

Stattdessen wird die koloniale Meistererzählung von den unbelehrbaren Schwarzen und den gütigen, helfenden Weißen aufgewärmt. Das obligatorische Bild von der Weißen Ärztin inmitten einer Schar von begeisterten Schwarzen Kindern – meist hat sie noch den Arm um ein ganz besonderes herziges Kind gelegt – darf inmitten dieses Sammelsuriums an Ideen natürlich auch nicht fehlen. Welche Bilder weitergegeben werden, steht außer Frage. Die Frage nach den politischen, historischen und sozialen Hintergründen von Flucht muss beantwortet werden, nur so ist es möglich, den durch die Verleugnung von Eurozentrismus, Kolonialismus und „rassifiziertem Bewusstsein“ getrübten Blick zu durchbrechen.

„Rassifiziertes Bewusstsein“ ist laut Arnold Farr, einem afrikanisch-amerikanischen Philosophen, „ein Begriff, der uns helfen wird, zu verstehen, wie selbst der wohlmeinendste weiße Liberale, der sich im Kampf gegen Rassismus beteiligt hat, unbewusst eine Form von Rassismus fortsetzen kann“ (Farr 2005:41) – oder in diesem Fall selbst die wohlmeinendsten MitarbeiterInnen von ÄoG und Kindermuseum Zoom.

Erst wenn die Mehrheitsbevölkerung auch ihre privilegierte Position des Schauens und der Informationsverbreitung hinterfragt, kann eine tatsächliche Änderung erfolgen. Ansonsten handelt es sich um ein dumpfes Weitergeben von Informationen, die keineswegs neutral und „sauber“ sind, wie ÄoG vorgeben wollen. Die Frage ist, ob die Beteiligten wollen, dass sich die Bevölkerung in den Einsatzgebieten weiter emanzipiert und mehr und mehr selbst aktiv wird, oder ob die Angst besteht, dass mit dieser Emanzipation – die zugegebenermaßen kein einfacher Prozess ist und natürlich auch die Weiße Präsenz in Frage stellt – es dann niemanden mehr geben wird, der die Dienste von ÄoG in Anspruch nehmen muss. Wollen wir, dass BesucherInnen, egal welchen Alters, das Fazit ziehen, dass sie durch das Erkennen globalgeschichtlicher Zusammenhänge etwas ändern können, oder reicht es, so wie Menasse-Wiesbauer im oben genannten Interview, an das Mitleid zu appellieren? Die nächste Licht ins Dunkel-Spendenaktion kommt ja bestimmt.

Was bleibt, sind also ein paar exotische Highlights (bunte Stoffe, afrikanisches Blechspielzeug), ein bisschen Ekel (Latrinen, Abwiegestation), ein wenig Trauer (Bilder, die von Kindern in Flüchtlingslagern gemalt wurden) und viel Entertainment (trommeln, Wasser tragen, Flüchtlingslager bauen, basteln). Für manche sicherlich ein vergnüglicher Nachmittag, für andere ein Moment des „Depowerments“[1]. Ich zähle mich zu der letzteren Gruppe.

1 Ich verwende den Begriff „Depowerment“ im Sinne Araba-Evelyn Johnston-Arthurs, Schwarze Sozialwissenschafterin und Kuratorin.

Literatur

Krichmayer, Karin (2006): „Fluchtwege. Ein Interview im Rahmen der Ausstellung Leben auf der Flucht mit Nora Sternfeld, Elisabeth Menasse-Wiesbauer und Marion Jaros“. Unter: mqw

Farr, Arnold (2005): Wie Weiß sichtbar wird. Aufklärungsrassismus und die Struktur eines rassifizierten Bewusstseins. Münster

Belinda Kazeem ist Studentin der Internationalen Entwicklung und Theater-, Film- und Medienwissenschaften und derzeit Projektmitarbeiterin bei der Schwarzen Frauen Community (SFC)

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