Kopiermaschine Mensch

Ohne die Piraterie der vergangenen Jahrhunderte würden wir womöglich immer noch im Dunkeln sitzen. Das gilt für künstlerische wie für alle andere Produktionen.

Gerne, wenn es einmal wieder nach zahlreichen zurückgelegten Straßenkilometern nötig ist, lege ich selber Hand an und tausche die Bremsbacken meines Fahrrades. Tipps und Tricks finden sich nicht nur in der Gebrauchsanweisung, die ich beim Kauf des Rades mitbekommen habe, sondern auch vielfach in Online-Foren, die Eingabe „Einstellung VBremsen“ liefert noch weitere Details, damit ich alsbald wieder sicher die Straßen Wiens durchkreuzen kann. Das Werkzeug gibt es fast an jeder Ecke, meist reicht ein Inbus-Set und schon ist, abgesehen von ein paar schmutzigen Fingern, alles erledigt. „Wie gut“, denke ich mir, „dass man das Rad nicht neu erfinden muss!“ Denn würde es heute erfunden, würdeich keine Gebrauchsanweisung dazu bekommen, Anleitungen zum selbst Reparieren gäbe es nur auf illegalen Download-Shores, das Werkzeug müsste ich mir selbst an einer Werkbank deichseln. Ich übertreibe? Keinesfalls, vielfach in der Computer-, wie in der Autoindustrie ist dies der Fall. Und das nicht nur auf der Ebene der Hardware, viel deutlicher wird dies angesichts proprietärer Software. An dieser darf natürlich nicht einfach herum geschraubt werden, der Quellcode unterliegt strengster Geheimhaltung, da hört der Spaß auf. Schade, wie viele meinen, denn dadurch wird die Entwicklung extrem verlangsamt, wenn nicht völlig ausgebremst. Insbesondere wenn, wie Karl Marx vorausgesagt hat, der Kapitalismus zur Monopolisierung führt und einzelne Firmen marktbeherrschend sind.

Aber seien wir doch ehrlich, ohne die unzähligen Entwicklungen, die als allgemeines Gut zugänglich sind, wären wir nicht eines der höchstentwickelten Länder der Welt und, um es ein wenig bestimmender auszudrücken, ohne die Piraterie der vergangenen Jahrhunderte würden wir womöglich immer noch im Dunkeln sitzen. Das gilt für künstlerische wie für alle andere Produktion. Schon einmal wurde der Tod des Autors gefeiert und was nun? Wieder behaupten, es gäbe das Genie im Elfenbeinturm, das, ohne die Welt um sich herum wie ein Schwamm aufzusaugen, originell sei.

Woher kam das Elfenbein? Das Schwarzpulver, um den Elefanten zu erlegen? Don't get me started! Wir alle stehen auf den Schultern von (kolonialen) Giganten und Copyright auf Kunst auf 95 Jahre (Was der Fall ist, wenn sie von Firmen besessen wird), und das entzieht zwei Generationen den Zugang zu ihrer Kultur. Ein unfreier Markt für die Freiheit von wenigen. Patente auf Leben, auf Nahrungsmittel, auf indigene Medizin aus den Regenwäldern Amazoniens machen diesen Raubzug der Patentritter besonders sichtbar. Auch dafür setzen sich KünstlerInnen und ihre Vertretungen dieser Lande indirekt ein, wenn sie für starke Copyright-Regeln kämpfen. Anstatt sich global für fairen Handel, für alternative Ökonomien und allgemeine Arbeitsrechte einzusetzen, soll das Pyramidenspiel, das von unten nach oben umverteilt, verteidigt werden. Und das, obwohl die Produktivität der Kunstschaffenden in diesem System wiederum nur wenige GewinnerInnen erzeugt. Es mutet geradezu lächerlich an, und die goldene Statue vom Walzerkönig Strauss würde wahrscheinlich vom Sockel kippen, hätte ihn jemand zu seinen Lebzeiten wegen Diebstahls von„creative commons“, vom Allgemeingut des Landlers, der folkloristischen Vorform des Walzers, verklagt. Womöglich müsste die Wien-Touristik die Geschichte umschreiben, kein Walzertraum, keine JapanerInnen im Stadtpark, kein Neujahrskonzert. Wie schön, dass die Kollegen der Klassik noch reichlich von einander und vom Allgemeingut abschreiben, weiterschreiben, kopieren und assoziieren durften. Heute ist die Kopiermaschine Mensch in seiner Existenz bedroht ...

Diese Kolumne wurde u. a. inspiriert von meinem Fahrrad und dem Film „Rip – Das Remix Manifesto“ opensourcecinema.org

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