Für eine neue Linke als abstrakte Gesellschaftsmaschine. Eine Selbstanrufung

Nach der Wahl bedauern Grüne und SP nun lamentierend den Rechtsruck, inszenieren sich als verzagte Retter der repräsentativen Demokratie vor einem Pöbel, dem sie vor der Wahl keineswegs entgegengetreten sind.

In einigen Sprachen gibt es eine grammatikalische Form, die den Imperativ als Konjunktiv setzt: Der Hortativ ist der Modus der konjunktivischen Aufforderung und zugleich die Instituierung eines noch ungenauen, eines werdenden Wirs. Im „Lasst uns …!“, „Wir wollen …!“ steckt ein Konjunktiv, der eine Vielheit der ersten Person einfordert, deren Umrisse im Werden begriffen sind. Form und Inhalt des vorliegenden Textes sind diesem Modus, der sich zwischen Ermöglichung und Selbstanrufung bewegt, sehr ähnlich. Lassen „wir“ uns also auf eine ungewohnte hortative Übung ein, auf die Debatte über die Notwendigkeit eines neuen linken Bündnisses!

1. Das Übel ereignete sich nicht am Wahltag, sondern schon in den Wochen und Monaten davor. Auch für gelernte ÖsterreicherInnen, gestählt durch die langen 1990er Jahre, die mit der FP-Machtergreifung Jörg Haiders 1986 begonnen hatten und mit dem Schock der fast 27 Prozent für die FPÖ im Jahr 1999 zu Ende gingen, geschliffen durch die darauf folgenden anderthalb Legislaturperioden von Schüssel-Haider, auch für derart abgehärtetes „Wahlvolk“, brachte der Wahlkampf eine neue Qualität: keine geringere als die Verdopplung der Figuren des Rechtsaußen. Während selbst prominente Wahlwerberinnen wie Heide Schmidt in den Medien kaum auftauchten, wurde der Wahlkampf zum ausschließlich männlichen Gockelritual, und er wurde vor allem zu einem repräsentativen Aufmarschfeld der extremen Rechten. Durch die Verdoppelung von Rechtsaußen manifestierte sich in den medialen Diskussionen eine markante diskursive Verschiebung. Wo sich vorher SP und VP im Echo rechter Rhetoriken übten, gerieten diese durch die Rechtsaußen-Doppelconference zum Main-Stream-Jargon: In den ORF-Fernsehduellen saß siebenmal mindestens einer von beiden, und in der so genannten Elefantenrunde spielten sich Strache und Haider, kurz zuvor noch spinnefeind, lässig gegenseitig die verbalen Auflagen zu.

Parallel dazu machte der SP-Vorsitzende gerade jenes sprichwörtliche Kleinformat regierungsfähig, das ja beileibe nicht nur durch fundamentale EU-Kritik reüssiert, sondern auch als Sprachrohr derselben rassistischen Diskurse dient, die Strache und Haider in direkter Kommunikation bei ihren Kundgebungen verbreiteten. Nach der Wahl bedauern Grüne und SP nun lamentierend den Rechtsruck, inszenieren sich als verzagte Retter der repräsentativen Demokratie vor einem Pöbel, dem sie vor der Wahl keineswegs entgegengetreten sind. Sie taten dies allerdings nicht in völliger Ahnungslosigkeit, sondern – so unser Verdacht – mit Kalkül, denn der Rechtsruck war völlig vorhersehbar, sogar in jenem ansonsten so ahnungslosen Land, das Meinungsforschung heißt. Während der TV-Diskussionen und anderer medialer Auftritte hatten SP und Grüne kaum ein Wort darüber verloren, dass sie den Wortführern von Rechtsaußen-Strukturen gegenüber saßen. Es schien ihnen nicht opportun, die Kontexte und Geschichte der Kreidefresser zu thematisieren. Mit ihrem eigenen Schweigen werteten sie vielmehr – in der Nachfolge des verhinderten Drachentöters Schüssel – deren symbolisches Kapital auch noch auf.

2. Die erfolgte diskursive Verschiebung ist fürs erste nicht wieder umzukehren, die FPÖ – vor 2000 noch weit weg von der Anmaßung staatstragenden Ansehens – wurde durch Wolfgang Schüssel aus dem rechtsradikalen Eck gehoben und mit dem abgelaufenen Wahlkampf endgültig von den parlamentarischen Parteien nobilitiert. Cordon sanitaire ade. Die letzten Monate brachten damit nicht nur einen weiteren, großen Schritt der Abwendung und Absage an alle halbwegs kritischen WählerInnen von Seiten der SP und der Grünen, sondern vor allem einen Umbau des Gefüges von links und rechts im politischen Geschiebe Österreichs. In diesem Wahlkampf ist es endgültig klar geworden, dass die im Parlament vertretenen Parteien die jetzt als Rechtsruck skandalisierte diskursive und mediale Verschiebung nicht aufhalten können oder nicht einmal willens sind, sie aufzuhalten. Es mag auch noch so unmöglich klingen, und aus unserer Perspektive von Mikropolitik, kritischer Wissensproduktion und sozialen Bewegungen ist es nicht einfach, diese Erkenntnis überhaupt auszusprechen: Folge dieser Verschiebung und des Versagens der früher als links bezeichneten Parteien ist die Notwendigkeit der Formierung eines neuen linken Bündnisses.

3. Doch wie können wir uns eine solche Formierung vorstellen, angesichts der ebenso problematischen wie misslungenen Versuche in diese Richtung, von den zögerlichen ideologischen Umgruppierungen in der KPÖ der letzten Jahrzehnte bis zum Fehlstart des marginalen Wahlbündnisses LINKE zur heurigen Nationalratswahl? Es gibt keinen Grund für allzu große Hoffnung und doch Grund genug, dem Pessimismus des Intellekts einen Optimismus des Willens voranzustellen. Um einen verniedlichenden massenmedialen Begriffs-Renner der letzten Wochen aufzugreifen: „Protest-Potenzial“ wäre auch im engeren Sinn des Wortes (und nicht als Euphemismus für Rechts-WählerInnen) reichlich vorhanden. Klar, dass einem neuen parteiförmigen Bündnis unvermeidlich ähnliche Strukturalisierungseffekte bevorstehen wie allen Parteien vor ihm. Doch das führt erstens nicht an seiner Notwendigkeit vorbei, und zweitens ist gerade die Instituierungs- und Formierungsphase ausschlaggebend für den gesamten Prozess. Je präziser und umfassender sich die inhaltliche Auseinandersetzung in dieser Phase gestaltet, umso aussichtsreicher und nachhaltiger wird sich eine parteiliche Konstitution des Bündnisses entfalten können. Keine weiteren Schnellschüsse also, keine Konzentration auf bevorstehende Wahlen zunächst, sondern eine möglichst breite Politisierung im Formierungsprozess selbst. Wenn erst vier Prozent erreicht sind, kann die parlamentarische und mainstream-mediale Präsenz dazu genützt werden, der Rechten wirksam entgegenzutreten. Wenn schließlich zehn Prozent erreicht sind, ist es Zeit, eine neue Partei zu gründen.

4. Als abstrakte Maschine soll das linke Bündnis nicht Begehren und Potenz der sozialen Bewegungen absaugen, sondern diese miteinander verbinden und verstärken. Gerade insoweit sie als abstrakte Maschine verstanden wird, funktioniert eine neue Linke nicht als Vereinnahmungsapparat, sondern als Koppelung, als Möglichkeitsbedingung für Verkehr und Verkettung der verschiedensten Mikro- und Makromaschinen: Euromayday, prekäre und Arbeitslosen-Initiativen, Ladyfests, queer-feministische Gruppen, migrantische Vereine, noborder-Aktivismus, Freiraumbewegung, alternative Medienprojekte, progressive Kulturinitiativen, Linksintellektuelle und kritische KünstlerInnen, Bleiberechtskampagnen, Grundeinkommensinitiativen, Finanzregulierungsplattformen, Armutskonferenzen, Copy-Left-Netzwerke, Community Groups, Rechtshilfen, Stadtteilgruppen, Tauschringe, Ehe-ohne-Grenzen-Kampagnen, Interessengemeinschaften, Antirassismusinitiativen…, kurz, linke Gruppierungen, Mobilisierungen und Kräfte aller Art. Als abstrakte Maschine sollte das Bündnis tunlichst vermeiden, Gallionsfiguren zu schmieden oder Elefanten zu züchten und stattdessen Anliegen vernehmbar machen, Änderungen einfordern und deren Verkettung und Verwirklichung in Gang bringen.

5. Als „keine Insel“ hatte schon der allerletzte Kanzler die Nation geopolitisch eingeschätzt, und kein linkes Bündnis kann hinter so elementarer Tatsachenfeststellung zurückbleiben. Auch linke GewerkschafterInnen müssen ihre traditionellen territorialen und „links-nationalen“ Ansprüche hinter sich lassen. Transnationale Praxis als internationale Vernetzung, Anbindung und Austausch ist elementar, nicht nur in einem Land, dessen Drittel der gerade zur Wahl Zugelassenen für Rechtsaußen gestimmt hat. Transnationalität kann schwerlich ein Lippenbekenntnis sein, handelt es sich doch um einen Punkt, der von lechts und rinks heftig attackiert wird, als vermeintlicher Verrat ebensolcher Nationen, Mehrheitsmeinungen und angeblicher Wertungen. Eine Partei als abstrakte Maschine lässt nichts davon gelten, oder besser noch: Sie affirmiert genau diese Überschreitung des Nationalen als zentralen Punkt. Ihre Bündnisse sind breit angelegt und missachten nationalistische, klassistische und rassistische Grenzen. Ihr sind alle willkommen, die aktiv am Queeren dieser Grenzen beteiligt sind. Die Rubikone sind längst überschritten, linken Bündnissen kommt es dagegen auf den Verkehr und den Austausch an, auf die Verweigerung jeglicher Einschränkung auf nationale Belange und Zugehörigkeiten. Kein namhaftes Problem, mit dem wir konfrontiert sind, lässt sich durch solche Beschränkungen lösen: Grenzverkehr, Ortswechsel und Migration sind ebenso Symptome wie Spielräume dieser Barrieren, andere wie Finanzen, Börsen und Kapital erkennen diese nationalen Grenzen ebenso wenig an wie Klimaänderungen oder Überflutungen. Nationale Perspektiven scheitern überall, und Migrationspolitiken sind der deutlichste soziale Ausdruck davon. Allesamt enden sie in Angst vor den Anderen, der Furcht vor dem anderen Dasein sowie dessen Bewegungen und Ansprüchen. Transnationale Strategien zu erfinden heißt solchen Ängsten entgegenzutreten und eine gleichermaßen furchtlose wie Furcht erregende, grenzüberschreitende, soziale Kommunikation zu entfalten. Ein derartiges Verständnis von Internationalismus inspiriert auch alle weiteren Punkte des Minimalprogramms einer künftigen linken Parteimaschine, und zwar – nur um damit zu beginnen: den allgemeinen Anspruch auf gleiche Rechte und gleiche Pflichten, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Glauben oder Papieren, den allgemeinen Anspruch auf Grundeinkommen, eine generelle Umlagenfinanzierung aller sozialen Belange sowie die soziale Regulierung der Arbeits- und Finanzmärkte.

Die genauen Bestimmungen dieser sowie wahrscheinlich noch vieler weiterer Punkte wären ebenso viele Gegenstände wie Beweggründe der Instituierungs- und Formierungsphase eines neuen linken Bündnisses. Diese ersten Komponenten eines programmatischen Horizonts sind es wert, ausgedehnt verhandelt und präzise artikuliert zu werden. Damit wären wir aber schon weit über den Hortativ, das Konjunktivische als Möglichkeit und Aufforderung, hinaus bei der Aktualisierung einer abstrakten Gesellschaftsmaschine angelangt.

Gerald Raunig ist Philosoph und arbeitet am European Institute for Progressive Cultural Policies (eipcp) in Wien.
Tom Waibel lebt und arbeitet in Wien als Philosoph, Übersetzer und Text- und Filmarbeiter.

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