Euro-MayDay05 Wien: PrekarierInnen aller Länder...

Vor nunmehr gut zwei Jahren bemühte sich Andrea Ellmeier von der IG Externe LektorInnen und freie WissenschaftlerInnen im Rahmen eines unter dem Titel Prekäre Arbeitsverhältnisse für alle? publizierten Artikels (Kulturrisse 01/03) darum, "einen Startballon für stärkere Allianzen zwischen den Prekarisierten steigen zu lassen". Motiviert war ihr Ansinnen damals vor allem von der fehlenden öffentlichen Aufmerksamkeit und Sensibilität gegenüber der fortschreitenden Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse von KulturarbeiterInnen, aber auch vom Übergreifen dieses Prozesses auf immer weitere Felder der Gesellschaft.

"Unser augenblickliches Problem besteht also nicht ausschließlich in der Bildung einer 'prekären Peripherie', sondern auch in der 'Destabilisierung des Stabilen'. Der Prekarisierungsprozess zieht sich durch manche früher stabilen Beschäftigungszonen hindurch, das ist die Wiederkunft der massenhaften Verwundbarkeit. Diese Dynamik ist keineswegs 'marginal'. Wie der Pauperismus des 19. Jahrhunderts im Herzen der Dynamik der ersten Industrialisierung verankert war, so ist auch die Prekarisierung ein zentraler Prozess, der von den neuartigen technologisch-ökonomischen Erfordernissen der Entwicklung des Kapitalismus in Gang gehalten wird." (Robert Castel in: Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit)


Vor nunmehr gut zwei Jahren bemühte sich Andrea Ellmeier von der IG Externe LektorInnen und freie WissenschaftlerInnen im Rahmen eines unter dem Titel Prekäre Arbeitsverhältnisse für alle? publizierten Artikels (Kulturrisse 01/03) darum, "einen Startballon für stärkere Allianzen zwischen den Prekarisierten steigen zu lassen". Motiviert war ihr Ansinnen damals vor allem von der fehlenden öffentlichen Aufmerksamkeit und Sensibilität gegenüber der fortschreitenden Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse von KulturarbeiterInnen, aber auch vom Übergreifen dieses Prozesses auf immer weitere Felder der Gesellschaft. Schließlich verhält es sich heute zunehmend so, wie Melina Klaus bereits in den Kulturrissen 03/02 betont hat, dass "Prekarität den Bereich des 'Exotischen', den Bereich der KünstlerInnen, TherapeutInnen usw., und den Bereich des eher Marginalisierten, den Bereich der Reinigungskräfte, der PflegerInnen oder anderer DienstleisterInnen, verlässt. Das Atypische nimmt universelle Formen an." Und auch Klaus verwies damals auf die für die Prekarisierten notwendige Entwicklung neuer Kampf- und Organisationsformen, und zwar ihres Erachtens durchaus auch innerhalb des traditionellen Gewerkschaftsapparats, welcher gerade erst und nur sehr zögerlich damit begonnen hatte, die Bedürfnisse und Interessen dieser "neuen sozialen Subjekte" zur Kenntnis zu nehmen.

All die hier genannten Forderungen – von der Sichtbarmachung unterschiedlicher Aspekte gegenwärtiger Prekarisierungsprozesse bis zur Vernetzung und Stärkung der Kämpfe um soziale Sicherheiten und Rechte – finden sich seit einigen Jahren auch auf jenen Paraden artikuliert, welche unter dem Namen Euro-MayDay am 1. Mai vor allem in Mailand und Barcelona Zehntausende zwecks Zelebrierung des "etwas anderen Mai-Aufmarschs" auf die Straßen locken. BasisgewerkschaftlerInnen sind darin genauso involviert wie AktivistInnen aus diversen anderen Zusammenhängen, die im Begriff der Prekarität ein taugliches Konzept zur Erfassung ihrer jeweiligen Arbeits- und Existenzbedingungen sowie ein brauchbares Instrument zur Mobilisierung von antiprekaritärem Aktivismus auszumachen können glauben. "Prekarität" steht dabei für einen Zustand der Entsicherung, Verletzbarkeit und Fragilität, in den fortwährend mehr Menschen unter den herrschenden Bedingungen des Um- und Abbaus sozialstaatlicher Sicherungssysteme, sowie der Re- und Deregulierung kapitalistischer Lohnarbeitsverhältnisse geraten. Dabei ermöglicht gerade die Offenheit und Abstraktheit des Konzepts einen Prozess der Allianzenbildung und Verkettung verschiedenster Kämpfe, ohne dass damit die Unterschiede zwischen den Betroffenen nivelliert oder auch die Ambivalenzen jener Entwicklungen geleugnet werden müssten.

Entsprechend soll auch der MayDay, wie der spanische Aktivist Marcelo Expósito meint, ein "grundsätzlich offener politischer Raum sein, in dem sich verschiedene Realitäten ausdrücken und kombinieren und in dem über die Prekarisierung der Lebensbedingungen als Artikulierungsachse der Kämpfe gearbeitet wird." Von Anfang an um Vernetzung über die jeweiligen Stadt- und Landesgrenzen hinaus bemüht, greifen die Euro-MayDay-Aktivitäten mittlerweile und nicht zuletzt durch die Gründung eines internationalen Netzwerks zu Prekarität in den autonomen Räumen des letztjährigen ESF in London auf immer weitere Teile Europas über. So ist in diesem Jahr dann auch neben Mailand und Barcelona u.a. in Hamburg, Paris, Helsinki und Ljubljana die Austragung größerer May Day-Paraden am 1. Mai geplant. Ebenso in Wien, wo seit einiger Zeit ein loses Netzwerk von Gruppen und Einzelpersonen aus den unterschiedlichsten politischen und sozialen Zusammenhängen an den Vorbereitungen für einen Euro-MayDay arbeitet.

Der Erfolg dieser Unternehmung wird zweifelsohne ganz zentral davon abhängen, ob es gelingt, auch hierzulande Prekarität als einen zur Erfassung verschiedenster Aspekte des gegenwärtig sich vollziehenden Wandels der Arbeits- und Lebensverhältnisse geeigneten Begriff zu etablieren. Darüber nämlich könnte eine Basis für gemeinsames politisches Handeln und mithin für die Überwindung der neoliberalen Fragmentierung und Vereinzelung geschaffen werden. Solange dies nicht gelingt, wird die Anrufung eines kollektiven politischen Subjekts – ob Prekariat oder Multitude – allerdings wohl auch zukünftig weitestgehend ungehört in den kritik- und aktivismusarmen Weiten Österreichs verhallen.

Doch allein schon der Versuch, mittels der Initiierung eines Euro-MayDays 2005 in Wien auch hierzulande das Thema der Prekarisierung mit entsprechendem Nachdruck auf die öffentliche Agenda zu setzen, lässt hoffen, dass jene "stärkeren Allianzen zwischen den Prekarisierten", von denen eingangs die Rede war, letzten Endes Realisierung finden könnten. Dem MayDay wohnt jedenfalls das Potenzial inne, zumindest als Impulsgeber einer solchen Allianzenbildung zu fungieren.


Markus Griesser steckt derzeit in einem Arbeitsmarktintegrations-Programm für schwervermittelbare AkademikerInnen und lebt – entsprechend prekär – in Wien.

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