Eine ungeschriebene Beziehungsgeschichte

Man darf auch nicht vergessen, dass das KZ Mauthausen von Dachau-Häftlingen 1938 aufgebaut wurde. Mauthausen-Häftlinge mussten wiederum ab 1943 beim Ausbau der SS-Kaserne Klagenfurt-Lendorf helfen.

1974 wurde die Städtepartnerschaft Klagenfurt – Dachau besiegelt. Ob der damalige Klagenfurter Bürgermeister Leopold Guggenberger (ÖVP) dabei auch im Auge hatte, dass nicht nur die Stadt Dachau mit der Geschichte eines nationalsozialistischen KZs behaftet war, sondern dass sich auch in Klagenfurt ein KZ befunden hatte, ist nicht überliefert. Es ist anzunehmen, dass die Städtepartnerschaft damals jenseits solcher Überlegungen geschlossen wurde. Vor acht Jahren besuchte der Nachfolger Guggenbergers, der heutige Bürgermeister Harald Scheucher (ÖVP), zum ersten Mal die Partnerstadt Dachau. Scheucher legte im ehemaligen KZ Dachau einen Kranz nieder und schrieb sich ins Goldene Buch der Stadt ein. In den Medien war zu lesen, dass der Dachauer Amtskollege von Scheucher, der damalige Oberbürgermeister Piller, gesagt habe, Dachau betrachte das historische KZ-Erbe nicht als Last, sondern als Chance; Dachau sei ein „Lernort“, damit solche Dinge nie wieder geschähen. Ähnliches war von Scheucher bis heute nicht zu vernehmen.

Dachau: Annäherung an die Geschichte

Freilich hatte auch Dachau lange gebraucht, bis sich die Stadt zu ihrem Erbe bekannte. Nach 1945 standen Fragen der Weiterverwendung der vorhandenen KZ-Bauten im Vordergrund. Bereits 1948 machte sich der Bayerische Landtag Gedanken über eine Nachnutzung, die den Ort mit seiner schändlichen Geschichte anders im Gedächtnis verankern sollte, als das ehemalige KZ dies tat. Ab Herbst 1948 verwandelte die Flüchtlingsverwaltung des Bayerischen Landtages das ehemalige KZ in eine mit erheblichen Subventionen ausgebaute Wohnsiedlung Dachau-Ost. Auf dem ehemaligen KZ-Gelände entstand eine komplette Infrastruktur mit Gaststätten, Geschäften, Kinos, Schulen und Kindergärten. Die Lagerstraße wurde geteert, Strom, Wasser und Kanalisation wurden eingeleitet. Erst 1957 intervenierten ehemalige Häftlinge gegen einen weiteren Zuzug von neuen BewohnerInnen. Dies war eher kontraproduktiv. Eine Medienkampagne gegen eine Ausstellung im ehemaligen Krematorium wurde entfacht. Gedenkfeiern wurden als „kommunistisch“ diffamiert. Auf das öffentliche Erinnern wurde mit einer Gedenkwoche für die deutschen Kriegsgefangenen geantwortet. Hinweisschilder zur Gedenkstätte wurden demontiert usw. Erst ab Mitte der ’50er Jahre setzte ein Umdenken ein. Unter großer öffentlicher Beteiligung wurde zunächst eine katholische Gedenkkappelle errichtet und dann das internationale Mahnmal ausgeschrieben. Später kamen die evangelische Versöhnungskirche, eine jüdische Bet- und Gedenkhalle und das Karmel-Kloster hinzu. Im ehemaligen KZ-Wirtschaftsgebäude wurde eine Dauerausstellung eingerichtet. 1998 wurde die Gedenkstätte durch die Eröffnung der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Dachau um eine wertvolle pädagogische Einrichtung ergänzt. Heute scheut sich Dachau nicht mehr, zu seiner NS-Geschichte zu stehen. Auf der Homepage www.dachau.de ist der Hinweis auf die „ganze Geschichte“ der Stadt unverschlüsselt zu lesen: „Dachau ist mit der KZ-Gedenkstätte der zentrale europäische Lern- und Erinnerungsort, den jährlich mehr als 600.000 an der Zeitgeschichte interessierte Menschen aus der ganzen Welt besuchen.“

Klagenfurts NS-Opfer

Anders dagegen die Selbstdarstellung der Stadt Klagenfurt, auf deren Homepage www.klagenfurt.at über die fragliche Zeit zu lesen ist: „Klagenfurt wurde im ‚1000-jährigen Reich’ zerbombt, tausende Mitbürger starben an den Fronten, viele andere in den Konzentrationslagern der Nazis. Gleich nach Kriegsende, noch in der englischen Besatzungszeit ging es tatkräftig an den Wiederaufbau und schon bald war die südlichste Landeshauptstadt Österreichs wieder für Rekorde gut.“ Die verschwiegene Seite der Geschichte liest sich nicht minder „tatkräftig“: Klagenfurt war auch eine Stadt der NS-Täter. Die Nationalsozialisten wollten Klagenfurt zum „grenzdeutschen Bollwerk“ (so der nationalsozialistische Historiker Martin Wutte) ausbauen. Aus den Klagenfurter NS-Gefängnissen und dem „Auffang- und Durchgangslager“ in Ebenthal bei Klagenfurt waren ab 1938 „Zulieferer“ für so gut wie alle Lager im Deutschen Reich. Auch die Bezirksgerichte waren voll von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung. Dass viele Kärntner Slowenen und Sloweninnen unter ihnen waren, ist eine historische Tatsache. Die Kärntner NS-Opfer-Namensforschung von Helge Stromberger spricht von über 120 namentlich erfassten Todesopfern aus Kärnten, die in Dachau ermordet wurden bzw. dort den Tod fanden, davon 13 aus Klagenfurt. Jede einzelne Lebens- und Leidensgeschichte liefert ein Mosaiksteinchen zum Verständnis der Verbindung der Städte Klagenfurt – Dachau. Zum Beispiel: 

  • Der engagierte Kärntner Slowene Foltej Hartmann wurde 1941 nach Dachau deportiert, wo er einen slowenischen Häftlingschor aufbaute und leitete.
  • Der Kärntner-slowenische Kaplan Anton Kutej aus St. Michael/Šmichel wurde in Mauthausen gequält und in Dachau zu Tode gebracht.
  • Der Oberkärntner Kommunist Josef Nischelwitzer befand sich im ersten Österreicher-Transport vom 1. April 1938 nach Dachau. 1942 wurde Nischelwitzer einem Außenkommando zugeteilt, das im Stift St. Lambrecht in der Steiermark Zwangsarbeit leisten musste.
  • Der Tapezierer Hermann Fertin aus Oberdrauburg war aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas „Wehrdienstverweigerer“. Vom Klagenfurter Gefängnis aus wurde er im November 1940 ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Zwei Monate später kam die Todesmeldung zu Hause an.

 

 

Man darf auch nicht vergessen, dass das KZ Mauthausen von Dachau-Häftlingen 1938 aufgebaut wurde. Mauthausen-Häftlinge mussten wiederum ab 1943 beim Ausbau der SS-Kaserne Klagenfurt-Lendorf helfen. Von November 1943 bis zur Befreiung im Mai 1945 waren sie in einer KZ-Baracke am Rande des Kasernenhofs untergebracht. Einige dieser Häftlinge waren schon vor ihrer Mauthausen-Haftzeit im KZ Dachau inhaftiert gewesen, dem später innerhalb der SS-Organisationen der Status eines Ausbildungslagers für SS-Kader und für KZ-Kommandanten gegeben wurde. Der deutsche Autor und Journalist Hans-Günter Richardi nennt deshalb das KZ Dachau in seinem gleichnamigen, 1995 erschienenen Buch auch „Schule der Gewalt“. Absolventen dieser „Schule“ wurden auch nach Klagenfurt berufen. Der erste Kommandant der SS-Kaserne in Lendorf war 1938 der SS-Sturmbannführer Hilmar Wäckerle. Von März bis Juni 1933 war Wäckerle der erste Kommandant des KZ Dachau gewesen. Wegen seiner besonderen Brutalität hatte die Staatsanwaltschaft München gegen Wäckerle wegen „Eigenmächtigkeit“ bei der Ermordung von KZ-Häftlingen und bei der Einrichtung eines dubiosen „Lagergerichts“ Ermittlungen eingeleitet, er wurde als KZ-Kommandant abberufen. SS-Chef Himmler sorgte persönlich dafür, dass eine Anklage gegen Wäckerle zurückgehalten wurde und schließlich im Sand verlief. Kasernenkommandant in Klagenfurt-Lendorf war Wäckerle nur kurze Zeit, nämlich ein knappes Jahr. Mitte März 1939 verließ er mit seiner SS-Einheit Klagenfurt, im September 1939 war er am Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen und 1940 an jenem auf die Niederlande beteiligt.

 

Aus dem kollektiven Bewusstsein ausgeklammert

 

Die Geschichte des Mauthausen-Außenlagers Klagenfurt-Lendorf blieb lange Zeit ungeschrieben. Die Gründe dafür sind vielfältig:

  • Die Häftlinge im KZ Klagenfurt-Lendorf, für die Klagenfurter Bevölkerung Hilfskräfte bei der Beseitigung von Bombenschäden, waren für sie „ganz normale Zwangsarbeiter“ und wurden nicht als KZ-Häftlinge wahrgenommen.
  • Im KZ Klagenfurt-Lendorf war die Todesrate sehr gering. Im Unterschied zu anderen Außenlagern von Mauthausen, stand das KZ in Lendorf nicht im Ruf eines Lagers, in dem die Häftlinge „Tod durch Arbeit“ zu erwarten hatten.
  • Es gab bereits am 8. Mai 1945 keine sichtbaren Überreste des Konzentrationslagers mehr.
  • Die ehemalige SS-Kaserne wurde 1955 in eine Bundesheerkaserne umgewandelt und die Historiker des Österreichischen Bundesheeres hatten andere Interessen, als die NS-Geschichte „ihrer“ Kaserne herauszustellen.
  • Die Stadt Klagenfurt klammerte das KZ aus ihrem kollektiven Bewusstsein aus und argumentierte schon sehr bald, dass es in der Stadt kein KZ gegeben habe.
  • Es gab keine Kärntner HistorikerInnen, die sich für die Geschichte dieses Konzentrationslagers oder für die Oral History der überlebenden Zeitzeugen interessierten.

 

 

Seit 1995 verfolgt das Mauthausen Komitee Kärnten/Koroška das Ziel, in einer Art „Topografie des NS-Terrors in Kärnten“ auch das KZ Klagenfurt-Lendorf als Gedenkort zu markieren. Als ich in der Funktion des Obmanns des Mauthausen Komitees am 18. Oktober 2000 beim ÖVP-Bürgermeister Harald Scheucher zum ersten Mal wegen einer Gedenktafel bei der ehemaligen SS-Kaserne vorsprach, gab er sich jedenfalls uninformiert; er war überrascht, als ich ihm von einem Mauthausen-Außenlager in der Lendorf-Kaserne erzählte; erfreut war er ob dieser Mitteilung und meinem Ansinnen sicher nicht. Seine erste spontane Nachfrage war: „Aber Krematorium gab es dort keines?“ Diesbezüglich konnte ich ihn beruhigen. 

 

Abschließend soll noch von einem Ereignis berichtet werden, das indirekt auch etwas mit der Beziehung Klagenfurt – Dachau zu tun hat: Am 17. September 2007 wurde beim Haupttor der Kaserne in Lendorf eine Gedenktafel für die Opfer des Mauthausen-Außenlagers enthüllt. Die Tafel, die mit allen militärischen Ehren und in Anwesenheit des damaligen Verteidigungsministers Norbert Darabos enthüllt wurde, trägt die Inschrift: „In der Zeit vom 19. November 1943 bis 8. Mai 1945 bestand auf dem Gelände der heutigen Khevenhüller-Kaserne ein Außenlager des KZ Mauthausen. Wir gedenken der Opfer des NS-Terrors.“ An diesem 17. September 2007 war auch der einzige heute noch lebende Überlebende des KZs Klagenfurt-Lendorf anwesend. Sein Name ist Rajmund Pajer. Im Jahre 1930 in einer Familie Triestiner Slowenen geboren, kämpfte er als knapp 13-Jähriger bei den Partisanen, wurde verwundet und verhaftet, war im NS-Geiselgefängnis Begunje (im heutigen Slowenien) und in mehreren Außenlagern von Mauthausen. Sein Vater wurde ins KZ Dachau deportiert, aus dem er nicht mehr zurückkam. Rajmund Pajer wurde am 5. Mai 1945 in Mauthausen befreit; da war er gerade 15 Jahre alt geworden. Zu seiner Teilnahme an der Gedenktafelenthüllung im September 2007 in Klagenfurt-Lendorf befragt, sagte er sinngemäß: „Zum ersten Mal in meinem Leben ging ich nicht als KZ-Häftling sondern als Mensch mit erhobenem Haupt durch das Kasernentor. Ich war respektiert, auf einer Augenhöhe mit dem Minister und den höchsten Militärs. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl: Wir haben die NS-Zeit nicht nur überlebt, wir haben die Nazis besiegt. Wir sind die eigentlichen Helden.“ 

 

Peter Gstettner ist Univ.Prof. für Erziehungswissenschaften an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt/Celovec und Obmann des Mauthausen Komitees Kärnten/Koroška. 

 

Der vorliegende Text basiert auf der Einführung zum Workshop Dachau – Klagenfurt in Klagenfurt/Celovec am 28.08.2008

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