Ein Plädoyer für die Politik! Zwischen NGOs, Selbstorganisationen der MigrantInnen und frei flottierenden Kunst- und KulturproduzentInnen

Ziel dieses Textes ist die Objektivierung bestimmter Verläufe in diesem Bereich. Alle Aussagen sind dabei dem Wunsch entsprungen, eine Klärung, eine Analyse der Normalitäten zu liefern. Um sie zu verändern und nicht um sie festzustellen.

Am Anfang

Es geht mir im Folgenden darum, auf die Bedingungen und noch mehr auf die Schwierigkeiten eines Projektes im kulturellen Feld hinzuweisen. Ich gehe von mehreren konkreten Projekten aus, aber die Überlegungen sind keineswegs nur an diese gebunden und beziehen sich nur sekundär auf die real handelnden Individuen innerhalb dieser Projekte. Die Position, die ich dabei einnehme, ist die des teilnehmenden Beobachters. Und die Partei, die ich ergreife, ist die für die MigrantInnen. Ziel dieses Textes ist die Objektivierung bestimmter Verläufe in diesem Bereich. Alle Aussagen sind dabei dem Wunsch entsprungen, eine Klärung, eine Analyse der Normalitäten zu liefern. Um sie zu verändern und nicht um sie festzustellen. Wo lagen also die Schwierigkeiten? Im letzten Projekt, an dem ich mitgearbeitet habe, ging es um ein Theaterstück. Die Finanzierung dafür war gesichert und die Bedingungen für die Arbeit viel besser als üblicherweise in der freien Theaterszene. Die Finanzierung kam vom Europäischen Sozialfonds und dem BMWA und diente als Teil des EU Projektes EQUAL zur Bekämpfung der Diskriminierung am Arbeitsmarkt. Die Aufführung des Stückes an einem Mainstreamort war sehr erfolgreich, während der ganzen Spielzeit mehr oder weniger ausverkauft – wenn das ein Kriterium sein sollte –, und es wurde von einem Großteil des Publikums gut bis sehr gut aufgenommen. Ein Stück, das bestimmte Diskussionslinien der jetzigen Zeit getroffen hat. Aber welche Schwierigkeiten gab es bei der Produktion des Stückes?

Eine gemeinsame Sprache?

Die Schwierigkeiten bei der Organisation begannen schon damit, dass es in doppelter Hinsicht keine gemeinsame Sprache gab. Die Deutsche Sprache spielte die Rolle der lingua franca. Damit wurden aber bestimmte sprachliche Positionen marginalisiert, die eine Verdolmetschung und Übersetzung brauchten. Dies machte eine Vermittlungsposition notwendig. Andererseits waren die Diskurssprachen und die Diskurse aller Positionen unterschiedlich. Das führte dazu, dass oft nebeneinander geredet wurde, ohne dass es Bereitschaft gab, auf die Position der Anderen einzugehen, indem von der eigenen Diskursposition abstrahiert wurde. Diese Bereitschaft hätte unter anderem auch eine gewisse Distanzierung von – und auch eine Relativierung – der eigenen Machtposition bedeutet. Diese doppelte „sprachliche“ Schwierigkeit begleitete das Projekt der Theaterproduktion bis zum Ende. Und gerade diese Schwierigkeit spielt eine nicht unwesentliche Rolle bei der Entscheidung, auf der Bühne selbst die Hegemonieposition der deutschen Sprache zu brechen. Eben nur dort, wo es sich nicht um die vorherrschenden soziopolitischen Realitäten handelt, sondern um das künstlerische Werk. Auf die Position der DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen, sowohl der Sprachen als auch der Diskurse, möchte ich nicht weiter eingehen. Diese Position ist aber in allen partizipationsorientierten Kunst- und Kulturprojekten nicht unwesentlich. Und es empfiehlt sich für jedes Projekt, bei der Entwicklung der Techniken zur Überwindung dieser Schwierigkeiten nicht zu sparen. Dies deswegen, weil genau da am meisten gespart wird. Gespart wird auch im Vorfeld des Projektes, wenn es darum geht, diese Schwierigkeiten zu artikulieren; deswegen, weil es sich hauptsächlich um die Schwierigkeit der sprachlichen Artikulation der MigrantInnen handelt. Und genau diese sind normalerweise am wenigstens involviert im Prozess der Entstehung und Beantragung eines Projektes. In unserem Fall waren MigrantInnen in allen Antragsphasen involviert. Aber wir hatten einfach kein Bewusstsein davon und wir dachten, dass das Dolmetschen und Übersetzen neben vielen anderen Dingen leicht zu erledigen sein würde.

Diversität der Positionen

Es gab mehrere AkteurInnenpositionen, die bei der Vorantreibung des Projektes maßgeblich waren. Ich nenne sie hier: erstens NGOs, zweitens Selbstorganisationen der MigrantInnen (SOMs) und drittens frei flottierende Kunst- und KulturproduzentInnen. Die Positionen von NGOs sind anders als die der SOMs. Der Hauptunterschied ist der, dass die NGOs professioneller mit Finanzen und Verwaltung umgehen können. Also sind sie imstande, Projekte zu lukrieren, durchzuführen und in ihrem Auftreten eine gewisse Glaubwürdigkeit gegenüber den Geldgebenden zu vermitteln. Die Glaubwürdigkeit in Geldfragen ist wahrscheinlich die wichtigste Eigenschaft für eine auf Subventionen der öffentlichen Hand angewiesene Organisation. Die Stärke der SOMs ist aber die, dass sie im Unterschied zu NGOs einen Zugang zu Individuen und Gruppen haben. Sie kennen die Szenen, sie sind ein Teil davon und haben kein Problem damit, Menschen zu mobilisieren. Man könnte hier glauben, dass es sich um eine ideale Ergänzungsmöglichkeit zwischen zwei Organisationstypen handelt. Ja und nein. Ja, weil in dem Theaterprojekt, das den Hintergrund dieses Textes bildet, genau das gelungen ist. Da waren diese Rollen so aufgeteilt und es hat bis zum Ende gut funktioniert. Nein, weil es nicht einfach ist, diese in sich festgefahrenen Systeme, die einen anderen Organisationsmodus verfolgen, deren Funktionsweisen auf die Selbsterhaltung gerichtet sind, wirklich auf einander einzustimmen. Es bleibt die rassistische Disfunktionalität, dass es eben manche gibt, die immer verantwortlich sind für die Moneten und manche, die immer die Laufburschenarbeit erledigen müssen. Innerhalb des Theaterprojektes gab es andauernd Versuche, diese Hierarchie zu brechen. Gelungen ist uns das nicht. Wobei dies keineswegs eine einseitige Schuldzuweisung beinhalten soll. Zu groß sind die Unterschiede, zu groß die Erwartungen und zu spezifisch das vorhandene Wissen, als dass es tatsächlich zur Angleichung der Positionen innerhalb eines einzigen Kooperationsprozesses in einem Projekt kommen kann. Es sind großen Fragen der Machtverteilung, die andauernd im Raum stehen. Und es ist keineswegs von Anfang an gesichert, ob eine Kooperation wirklich zu Ende geführt werden kann oder nicht.

Die Situation wird noch komplexer, wenn in diesem Spiel die freien Kunst- und KulturproduzentInnen dazu kommen. Diese sind im heutzutage herrschenden Kunst- und Kulturbetrieb einem nicht zu unterschätzenden Druck ausgeliefert und wenn sie in diesem überleben wollen, müssen sie versuchen, diesen Druck weiter zu geben – egal ob in ideeller oder in materieller Hinsicht. Die einzigen, die da für sich Unabhängigkeit reklamieren können, sind diejenigen, die auch materiell außerhalb des Kulturfeldes gesichert sind. Aber auch da ist Vorsicht geboten, denn materielle Unabhängigkeit sichert keineswegs eine ideologische Unabhängigkeit. Die NGOs sind wiederum in den letzten Jahren durch die Streichung von Basisfinanzierungen unter einen enormen Existenzdruck geraten. Sie müssen versuchen, Projekte am laufendem Band zu produzieren, um so das aus besseren Zeiten angesammelte kulturelle Kapital ununterbrochen zu verwerten. In diesem Bereich wird der wieder erstarkte Trend zum Josephinismus, zur Maxime „Alles für das Volk, nichts durch das Volk“, in den letzten Jahrzehnten mehr als deutlich. Die Richtlinien sind da ziemlich klar und die heißen, entweder ist die NGO ein verlängerter Arm von irgendeiner Interessenvertretung – die auch dafür sorgt, dass ihr genug Finanzen zur Verfügung stehen –, oder die NGO wird seitens der Subventionsgeber, den Gremien, in denen sich RepräsentantInnen von Interessenvertretungen eingenistet haben, auf das wirtschaftliche Marketing und auf Richtlinien des Fundraising hingewiesen. Letzteres führt meistens zur Stillegung der Organisation, falls keine Bereitschaft zur unentgeltlichen Arbeit oder zur Selbstausbeutung besteht. Und die Selbstorganisation der MigrantInnen, die kulturell bis jetzt kaum eine Rolle in der Öffentlichkeit gespielt hat, kann diese Öffentlichkeit aus materiellen, ideellen, politischen oder einfach edukativen Gründen nur auf dem Umweg über die prekären KulturproduzentInnen und NGOs zu erreichen versuchen. Ein Obmann eines Romavereines kommentierte dies folgendermaßen: „Es ist eine Tatsache, dass wir Roma uns allein nicht genügen können.“1

Öffentlichkeit und Individualisierungsprinzip

Meine bisherigen Erfahrung mit Kulturprojekten zeigen bezüglich der Bemühungen um die Öffentlichkeit einen zusätzlichen Aspekt. In der beschriebenen Konstellation erreichen in den meisten Fällen weder NGOs noch SOMs die Öffentlichkeit, sondern allein die KulturproduzentInnen. Nachdem das Produkt da war, fragte die Öffentlichkeit in Gestalt von diversen MedienvertreterInnen nach der AutorInnenschaft des Ganzen. Und diese war plötzlich nur in einer oder mehreren einzelnen Händen zu finden. Diese paar Hände sind dann diejenigen, die Interviews geben, denen der Erfolg des Stückes zugeschrieben wird und die möglicherweise in Zukunft dadurch andere Projekte für sich lukrieren können. Wir machten immer wieder die Erfahrung, dass sich der Glaube an das Schöpferische der KünstlerInnen mit dem liberalen Individualisierungsprinzip des Kapitalismus koppelte. Und plötzlich gibt es einen oder zwei erfolgreiche Individuen in der Öffentlichkeit und das Kollektiv und dessen Bestrebungen, die NGOs und SOMs bleiben dort, wo sie sind... Heute wie im 18. oder 19. Jahrhundert steht der Gedanke des „Genies“, des Auserwählt-Seins, im Vordergrund, nicht die dahinter stehenden kollektiven Anstrengungen aller am Projekt beteiligten Menschen. Und es scheint nicht möglich, sehr viel dagegen zu machen. Das führt mich zur grundsätzliche Frage, ob eine Arbeit mit solchen individualistischen (oft radikal linken) KulturproduzentInnen für NGOs und SOMs einen politischen Sinn ergibt? Zur Zeit neige ich dazu, diese Frage zu verneinen. Nicht aus Bosheit sondern aus systematischen Zwängen kommt in einer solchen Kooperation die bürgerliche Öffentlichkeit nur dem bürgerlichen Individuum zu. Nur dieses erlebt einen Zuwachs eigenen kulturellen Kapitals. Politisches Kapital ist daraus aber nicht zu schlagen, da die antirassistische wie jedwede Politik nicht im kulturellen Feld gemacht wird. Auch deswegen nicht, weil die Politik, die diesen Namen verdient, gegen die staatlichen Normalisierungsmechanismen gerichtet ist, und somit auch den Regulator der Kulturarbeit, den Staat, in seiner real existierenden Form des Nationalstaats, radikal in Frage stellt; den Nationalstaat und seine Öffentlichkeit. Die Ebenen des Staates und diejenige der Öffentlichkeit bedienen sich gegenseitig und es ist die große Frage, wie auf die Öffentlichkeit politisch setzen und gleichzeitig sich Bemühungen hingeben, den Staat zu verändern.

Gibt es Auswege?

Solange das Prinzip des Individualismus in Vordergrund steht ist es, denke ich, müßig, von Auswegen aus dieser Situation zu reden. Erst bei einer gewissen Bereitschaft, sich davon zu verabschieden, sich wieder an die Gedanken des Kollektivs einerseits und andererseits an das große emanzipatorische Projekt der Veränderung der Gesellschaft für Alle anzunähern, können wir von einem möglichen Ausweg reden. Das würde aber möglicherweise heißen, dass unsere gesamte heutzutage geltende Struktur überdacht und verändert werden muss. Vielleicht müssen wir uns von den NGOs und von SOMs genauso verabschieden wie wir uns von frei flottierenden KulturproduzentInnen verabschieden. Diese Organisationsstrukturen tendieren zu Partikularismus. Und Partikularismus ist nichts anderes als der Name für den Bürgerkrieg im Kulturfeld. Nicht ein Bürgerkrieg der Untertanen gegen die Herrschenden, sondern einer unter den Untertanen selbst, während die Herrschenden sich als FriedensstifterInnen (als SubventionsgeberInnen) gebärden, die einmal da und einmal dort eine Zugeständnis machen (oder halt Subventionen verteilen). Im Kunst- und Kulturbereich geht es darum, sich wieder auf die alte Marx´sche Maxime zu besinnen, nämlich die, dass es nach der Revolution nur Individuen geben wird, die unter anderem auch Kunst und Kultur produzieren. Marx muss weiter gedacht werden. Nach der Revolution kann nur vor der Revolution sein. Falls es zur Revolution kommen soll.

1 Die Frage, die sich hier stellt, ist die, warum die Angehörigen der Mehrheit sich allein genügen können und diejenigen der Minderheiten nicht. Die Antwort darauf lautet struktureller Rassismus. Aber das ist nicht das Thema, das mich hier vordergründig interessiert.

Ljubomir Bratic ist Philosoph und Publizist, lebt in Wien.

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