Ein Arbeitstraum. MigrantInnen in Selbstorganisationen kooperieren...

Wie kann aber eine Kooperation zwischen Selbstorganisationen von MigrantInnen (SOMs), NGOs, Kunst- bzw. KulturproduzentInnen, die nicht ausschließlich produktorientiert ist, funktionieren? Und welche Öffentlichkeit ist an so einer Kooperation interessiert? Schon dieser Aufteilung der Partizipierenden in SOMs, NGOs und Kunst-/KulturproduzentInnen ist eine Arbeitsteilung, eine Teilung von sozialen und anderen Kompetenzen und damit auch eine Teilung von erreichbaren Öffentlichkeiten inhärent.

Anfängliche Gedanken für den vorliegenden Artikel kreisten um die von Radostina Patulova bei der Anfrage für diesen Text vermittelten Fragen nach Möglichkeiten, Wegen, Strategien und konkreten Erfahrungen mit Öffentlichkeiten sowie nach Umgängen, um Selbstorganisationen Kapital zukommen zu lassen; um die Frage, was an Reflexionen, Entscheidungen und Begleitfragen in Kooperationen zwischen Selbstorganisationen von MigrantInnen (SOMs), NGOs und Kunst- bzw. KulturproduzentInnen benötigt wird; sowie um die Frage, wie man sich gegenseitig zu Öffentlichkeiten verhilft und wie den Fallen gefilterter Wahrnehmung entgangen werden kann.

Solche Kooperationen sind immer häufiger produktorientiert und es geht in dieser Kommodifizierung zumeist darum, eine Ausstellung zu machen, eine Theatervorstellung auf die Bühne zu bringen, Texte zu veröffentlichen, Manifeste und politische Stellungnahmen zu formulieren usw. Die Handlungsprozesse selbst hingegen, eventuell gemeinsame Willensbildungen, das Reflektieren eigener Positionen in verschiedenen Öffentlichkeiten u.v.m. werden im Rahmen solcher Kooperationen zwar immer wieder als wichtig thematisiert, einen Raum bekommt es in der Regel aber nicht.

Wie kann aber eine Kooperation zwischen Selbstorganisationen von MigrantInnen (SOMs), NGOs, Kunst- bzw. KulturproduzentInnen, die nicht ausschließlich produktorientiert ist, funktionieren? Und welche Öffentlichkeit ist an so einer Kooperation interessiert? Schon dieser Aufteilung der Partizipierenden in SOMs, NGOs und Kunst-/KulturproduzentInnen ist eine Arbeitsteilung, eine Teilung von sozialen und anderen Kompetenzen und damit auch eine Teilung von erreichbaren Öffentlichkeiten inhärent. Sie verschleiert die mehrdimensionalen Handlungsfelder, indem diese in eine lineare Abfolge von Bezeichnungen (SOM, NGO etc.) übersetzt werden. Kann das Ziel solcher Kooperationen die gemeinsame Produktion für die Öffentlichkeit sein? Meiner Meinung nach nicht.

Jede Kooperationsart unterliegt bestimmten diskursiven Mechanismen bzw. schafft und verändert sie. Diskurse sind immer mit Macht und den Relationen bzw. Interdependenzen von Machtwirkungen verbunden. Am deutlichsten zeigt sich die diskursive Machtverbundenheit in der Sanktionierung bzw. Unterdrückung von Gegendiskursen, von Diskursen, die herrschende Diskurse problematisieren, hinterfragen, kritisieren, angreifen. Dieser Aspekt ist besonders bei institutionalisierten Diskursen, die ich als in hegemoniale Diskurse eingebettet sehe, sichtbar. Es ist aber nicht so, dass Gegendiskurse sich ausschließlich auf die Bekämpfung von hegemonialen Strukturen aus einer angenommen untergeordneten Position beziehen. Sie entstehen auch innerhalb von widerständigen Diskursen. Der Ort, von dem und die Perspektive, aus der kooperationsrelevantes bzw. projektrelevantes Wissen erlangt wird und aus dem bzw. der heraus gehandelt wird, wird im Rahmen von Kooperationen zwischen SOMs, NGOs und Kultur- bzw. KunstproduzentInnen häufig aus den Augen verloren. Jeder Ort aber, von dem aus gehandelt wird, von dem aus Diskurse produziert werden, ist von Machthierarchien bestimmt. Diese Sichtweise geht aus einer Perspektive hervor, die Diskurse als politische und ideologische Praxen ansieht.

Dass rassistische und diskriminierende Diskurse nicht nur MigrantInnen betreffen, wird in Kooperationen häufig nicht gesehen oder nicht thematisiert. Diskriminierende Diskurspraktiken, die einen zugrunde liegenden Mechanismus haben, betreffen ebenfalls Lesben, Schwule, transidente Personen, Menschen mit Behinderung, religiöse und andere kulturelle und politische (Rand-)Gruppen und haben auch Einfluss auf Menschen, die sich zu keiner der gesellschaftlichen Minoritäten zählen würden, da diskriminierende Diskurse die Wirklichkeit von uns allen auf die eine oder andere Art strukturieren und eine wichtige Grundlage für die hegemonialen Strukturen darstellen. Dieser Umstand wird in Kooperationen wenn, dann nur am Rande zur Kenntnis genommen.

Das Übersetzen

Aufgrund meiner Erfahrungen im auslaufenden Equal-Projekt „work in process“ gestaltete sich der Prozess des Übersetzens sehr schwierig. Dieser Prozess lief auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Es ging um das Übersetzen der Semiotik einer Projektkultur, das Übersetzen der Art und Weise, wie Projekte eingereicht und durchgeführt werden, wie aus den Projekten politisches bzw. soziales Kapital geschlagen werden kann und vieles andere mehr. Diese Art der Übersetzung erfolgte ohne ausgearbeitetes Übersetzungskonzept für jene SOMs, die zum ersten mal an einem Projekt von Equal-Ausmaßen teilnahmen. Es ging aber auch um das Übersetzen aus einer gesprochenen Sprache in eine andere, vor allem bei internen Arbeitstreffen und öffentlichen Auftritten. Die Machtposition der Übersetzenden ist unumstritten, da die Zuschreibung bestimmter Kompetenzen an das Beherrschen bestimmter Sprachen gebunden ist. Das ist offenbar eine Eigenschaft der SOMs, NGOs, Kunst- und KulturproduzentInnen, da in hegemonialen Systemen das Nicht-Beherrschen von Sprachen durch die Vermittlung der in der Regel unsichtbar bleibenden Schar von ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen ausgeglichen wird bzw. keine Relevanz und keinen Einfluss auf die Rezeption der Kompetenzen der jeweiligen SprecherInnen hat. Meine Projekterfahrungen gehen aber in die Richtung, dass häufig den Übersetzenden die Position der SprecherInnen und damit der ExpertInnen zugewiesen wird, außer es handelt sich um Personen, die über ein, in den jeweiligen Öffentlichkeiten ausgebautes, soziales Kapital – einen ganz bestimmten Status – verfügen. So wurde ich als Übersetzerin nach verschiedenen öffentlichen Diskussionen, Präsentationen, Podien auf deren Inhalte angesprochen, nicht die Person(en), die das Wissen und die Inhalte eingebracht haben, aber über keinen Status in der jeweiligen Öffentlichkeit verfügen.

Gelingt es, die bestehende Technik des Übersetzens in Kooperationen in Kämpfe von ProtagonistInnen um Strukturen umzusetzen, innerhalb derer ein sozialer und politischer Status erlangt werden kann und nicht ein Status einer gruppenspezifischen Identität? In diesem Kampf geht es um die Bekämpfung institutionalisierter und im Alltag übernommener Wertemuster, die einige als den Normen entsprechend und andere als defizitär oder minderwertig definieren, häufig nicht explizit. Es geht auch um die Frage, wie sich heteronormative Werte und Normen diskursiv in Institutionen und Einzelpersonen hinein verlagern und welche institutionellen politisch-rationalen Formen sie annehmen.

Eine gelungene Kooperation

Eine meiner Ansicht nach gelungene Kooperation im Kulturbereich, die über die Produktion eines Produkts hinausging, ist die Arbeit am Filmprojekt „Arbeits- traum“. Dieses Projekt wurde vom KUPF-Innovationstopf finanziert und in Kooperation von einer nicht organisierten, maiz[1]-nahen Migrantinnengruppe mit Unterstützung der Filmcoop Wien durchgeführt. Das Konzept des Films wurde erst nach Bewilligung der Geldmittel von allen Beteiligten erarbeitet und im Laufe der Produktion immer wieder geändert. Was dieses Projekt aber von anderen, ähnlichen Vorhaben unterscheidet, ist einerseits der Umstand, dass wir uns nicht immer verstanden haben – wir sprachen verschiedene Sprache und es wurde nicht alles aus der einen in die andere Sprache übersetzt – und andererseits, dass alle Beteiligten als Produzentinnen genannt wurden und nach Fertigstellung mehrere dvd-Kopien erhielten, mit der Selbstauflage, diesen Film in unterschiedlichen Kontexten zu verbreiten. Der Schwerpunkt der Übersetzung lag nicht auf den sprachlichen Ebenen.

Alle Filmproduzentinnen partizipierten in jeder Phase der Filmproduktion: von der Konzepterstellung, dem Drehbuch, dem Schnitt, der Musik, dem Abspann und der Filmpräsentation. Die Produktion ist auch über ein Jahr nach Fertigstellung des Films nicht abgeschlossen. Das Know-How über die Distribution eines Films (oder anderer Kultur- bzw. Kunstprodukte), über Kontakte zu autonomen Filmfestivals, über die Präsentation einer antirassistischen Arbeit kann nicht in einem Vortrag oder einer Anweisung vermittelt werden. MigrantInnen, wie es Ljubomir Bratić in seinem Artikel „Ein Plädoyer für die Politik! Zwischen NGOs, Selbstorganisationen der MigrantInnen und frei flottierenden Kunst- und KulturproduzentInnen“ in den Kulturrissen 01/07 am Beispiel von Roma erwähnt, „können sich selber nicht genügen“. Im Zuge der Filmproduktion von „Arbeits- traum“ ist ein Konzept der Übersetzung, der Vermittlung von einerseits technischem und filmischem Wissen entstanden und andererseits wurde ein Konzept für die Vermittlung der Ergebnisse – des Films – angewandt, welches einer (einseitigen Verwertung der) Kommodifikation entgegen wirkt. Dafür braucht es einen langen Atem von allen Beteiligten, von den freischaffenden KulturproduzentInnen und den interessierten und beteiligten MigrantInnen.

Zu oft wird vergessen, dass soziales Kapital nicht einfach ab- oder weitergegeben werden kann. Es braucht bestimmte Übersetzungsmuster, die Gelegenheit, einschlägige Erfahrungen zu sammeln und verschiedene Öffentlichkeiten kennen zu lernen. Am Beispiel der Filmproduktion „Arbeitstraum“ ist allen Beteiligten klar geworden, dass z.B. auch die Anfrage an unterschiedliche Öffentlichkeiten wegen Vorführung oder Distribution eines Films, Öffentlichkeiten für die jeweiligen Gruppen oder Einzelpersonen schafft und determinierend ist für eigene Positionen in verschiedenen Öffentlichkeiten.

Anmerkung

Dieser Artikel erscheint als zweiter Teil eines Kulturrisse-Debattenforums zu Kooperationsprojekten zwischen SOMs, NGOs und Kunst- bzw. KulturproduzentInnen. Der erste Diskussionsbeitrag zum Thema von Ljubomir Bratić erschien unter dem Titel „Ein Plädoyer für die Politik“ in Heft 1 / 2007.

Vlatka Frketić lebt und arbeitet in Wien.

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